Der dunkle Thron
»Vergebt mir, Sir.«
»Euer wagemutiger Plan ehrt Euch, Mylord«, sagte Chapuys leise. »Aber der Prinzessin ist nicht damit gedient, wenn Ihr in Hatfield entdeckt und verhaftet werdet und Cromwell doch noch in die Hände fallt.«
»Ich hingegen glaube, dass ein Dasein als Stallknecht ein geniales Versteck vor Cromwells Bluthunden ist, denn dort, wo ich sein werde, wird mich niemand suchen.«
»Er wird überall nach Euch suchen«, widersprach Chapuys. »Ihr seid einer der drei Menschen in England, die den Mut hatten, den Eid zu verweigern. Darum wird er jeden Stein umdrehen, um Euch zu finden.«
Nick sah ihm in die Augen. »Ihr irrt Euch, Sir. More, Fisher und ich sind nicht die einzigen, die den Eid auf das neue Thronfolgegesetz verweigert haben. Prinzessin Mary und Königin Catalina haben ihn auch nicht geleistet. Was, denkt Ihr, werden sie mit Mary tun, um sie zu überreden, den Eid zu schwören und ihr Geburtsrecht zu verschenken?«
Hatfield, Mai 1534
Nachdem Chapuys sich einmal von Nicks Plan hatte überzeugen lassen, hatte er ihn auch mit der ihm eigenen Finesse unterstützt. Am Tag bevor Nick in den Stallungen von Hatfield vorstellig wurde und nach Arbeit fragte, waren zwei der dortigen Stallburschen ohne Vorwarnung verschwunden, weil einer von Chapuys’ geheimnisvollen Kontakten ihnen anderswo bessere Arbeit versprochen hatte. Außerdem hatte ein Bewunderer der Königin, der ungenannt bleiben wollte, der winzigen Prinzessin Elizabeth zwei kostbare andalusische Hengste zum Geschenk gemacht, die nicht nur mehr Arbeit bedeuteten, sondern die obendrein so wild und ungebärdig waren, dass niemand sich in ihre Nähe wagte.
Darum empfing Sir Jeremy Andrews, der Stallmeister, den jungen Mann, der ohne Bündel, dafür mit staubigen Schuhen und einem wortkargen, mürrischen Gebaren vor ihm erschien, mit ungewöhnlichem Enthusiasmus.
»Kannst du reiten?«
»Ja.«
»Ja was?«
»Ja, Sir.«
»Hast du Erfahrung mit der Pflege von Pferden?«
»Jede Menge, Sir.«
»Woher kommst du?«
»Ripley in Cheshire.«
»Weit weg von zu Hause«, bemerkte der Stallmeister kritisch. Vermutlich argwöhnte er, dass der junge Bursche zu Hause in Cheshire irgendetwas angestellt hatte und auf der Flucht vor dem Gesetz war. »Für entlaufene Hörige und sonstiges Gesindel haben wir hier keinen Platz. Dies ist ein königlicher Haushalt.«
Nick zuckte bockig die Achseln und machte auf dem Absatz kehrt, als wolle er sich trollen.
»Halt, halt«, protestierte Sir Jeremy.
Nick kam zurück und blieb mit gesenktem Kopf vor ihm stehen.
»Was hast du ausgefressen?«
»Nichts«, gab Nick verdrossen zurück. »Der Reeve hat meine Schwester geschwängert, da hab ich ihm ein paar aufs Maul gehauen. Danach musste ich verschwinden.«
»Na schön«, brummte der Stallmeister. »Wir wissen hier nicht, wo uns der Kopf steht vor Arbeit, darum versuche ich es mit dir. Wie ist dein Name?«
»Tamkin.«
Der Stallmeister zog die Brauen hoch.
»Sir«, fügte Nick unwillig hinzu.
»Also dann, Tamkin. Du verdienst zwei Schilling die Woche. Du schläfst auf dem Heuboden über dem Stall, isst in der Gesindeküche, gehst sonnabends zur Beichte, sonntags in die Kirche und lässt die Finger von den Mägden. Klar?«
»Ja, Sir.«
Jeremy Andrews wies auf das Tor des langgezogenen hölzernen Stallgebäudes, vor dem sie standen. »Die anderen sind noch beim Misten. Wir haben zwei neue Gäule, die austreten, sobald jemand in ihre Box kommt. Mit denen kannst du gleich anfangen.«
Nick schnaubte halb amüsiert, halb abschätzig und wandte sich ab, doch er war noch keine zwei Schritte gegangen, als Sir Jeremys Reitgerte auf seinem linken Oberarm landete. Nick fuhr wütend herum und unterdrückte im letzten Moment einen Laut der Entrüstung.
Der Stallmeister machte eine finstere Miene. »Was du dringend lernen musst, ist Respekt, Tamkin. Du gehst, wenn ich es dir erlaube, nicht eher. Du befolgst meine Anweisungen ohne höhnische Grimassen, sondern mit einem ›Ja, Sir‹. Das ist das einzige, was ich von dir hören will. Und sollte sich jemals einer der feinen Herrschaften aus dem königlichen Haushalt hierher verirren, nimmst du die Kappe vom Kopf, machst einen Diener, sprichst nur, wenn du dazu aufgefordert wirst, und tust genau das, was man dir sagt. Hast du mich verstanden?«
»Ja, Sir. Tut mir leid«, murmelte der neue Stallknecht und dachte: Ich fürchte, du bist ein Hurensohn, Jeremy Andrews.
»Dann mach dich an die Arbeit. Los, los,
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