Der dunkle Thron
»Die Königin ist tot, Nick. Königin Catalina, meine ich. Gestern ist sie gestorben. Aber die Nachricht wurde bis heute zurückgehalten. Darum jetzt erst das Getöse.« Er wies Richtung Kapelle, deren Glocke immer noch läutete. Schrill und penetrant, kam es Nick vor.
Er stand langsam auf, bekreuzigte sich und trat ans Fenster. Es wurde dunkel. »Arme Mary. Ich hoffe, irgendwer wird ihr das schonend beibringen.«
»Ja, es muss ein harter Schlag für sie sein.«
Nick wandte sich wieder zu ihm um. »Wie ist sie gestorben? Ich meine, wir haben schon im Sommer gehört, sie sei krank. Aber war es ein natürlicher Tod, oder hat Anne Boleyn nachgeholfen?«
»Ich glaube nicht«, bekannte Jerome, so wenig schockiert über diesen Verdacht, dass es einem eigentlich zu denken hätte geben sollen. »Warum sollte sie? Catalina konnte ihr doch schon lange nicht mehr gefährlich werden.«
»Aber Catalina besaß die Sympathie und Loyalität der Engländer, nach denen Anne Boleyn giert. Jetzt werden sie ihre Anhänglichkeit auf Mary übertragen, und das wird alles noch schwieriger machen.«
»Tja, wer weiß. Jedenfalls war Chapuys noch am Tag vor ihrem Tod bei ihr und hat John genau beschrieben, wie er sie vorgefunden hat. John glaubt nicht an eine Vergiftung. Er nimmt an, es war ihr Herz. Und was soll ich dir sagen, Mann. Die Yeoman Warders hier erzählen eine seltsame Geschichte: Der Kerzenmacher von Kimbolton wurde angewiesen, Catalinas Organe für die Einbalsamierung zu entnehmen. Und er sagt, sie hätten alle kerngesund ausgesehen. Bis auf das Herz. Das sei ganz schwarz gewesen. Wie von Feuer verzehrt.«
Nick stieß einen Protestlaut aus, der halb ungeduldig, halb angewidert klang. »Was für ein Blödsinn …«
»Nein, im Ernst, Mann. Der Yeoman Warder, der das erzählt, hat es direkt von dem Boten, den Catalinas Leibarzt geschickt hat. Und Chapuys sagt, als sie sich von ihm verabschiedete, habe sie gesagt, sie müsse sterben, weil der König ihr das Herz gebrochen habe.«
»Ja, das kann ich schon eher glauben.« Nick schloss für einen Moment die Augen und lehnte den Kopf zurück an die kalte Mauer. »Arme Catalina. Mögest du in Frieden ruhen …«
Er kehrte an den Tisch zurück.
Jerome beobachtete ihn. »Du hinkst«, bemerkte er.
»Na ja, was erwartest du? Immerhin habe ich mein Bein noch, selbst wenn es nicht mehr ganz das alte ist. Ich habe genau gehört, dass John, Philipp und du darüber gesprochen habt, ob es nicht besser wäre, es abzusägen. In aller Seelenruhe …«
»Seelenruhe war wirklich das letzte, was wir empfunden haben«, widersprach Jerome entrüstet. »Aber wir dachten, du stirbst.«
Nick hob mit einem flüchtigen Lächeln die Schultern.
»Hast du noch Schmerzen?«, wollte sein Freund wissen.
»Manchmal. Aber es wird besser, genau wie das Hinken.« Er nahm an, wenn man ihn je hier herausließe und er wieder reiten und dem Bein genug Bewegung verschaffen könnte, würden die Beschwerden vielleicht irgendwann ganz vergehen. Darüber machte er sich indes keine Gedanken. Er glaubte nicht, dass es sich lohnte.
»Der König hinkt jedenfalls schlimmer als du, und das Bein macht ihm schwer zu schaffen. Er kann kaum noch reiten. Aber für den Tag der Beerdigung hat er trotzdem eine große Jagd angesetzt.«
»Mit dem ihm eigenen Feingefühl …«
Jerome schnitt eine Grimasse. »Sie haben heute ein Fest gegeben, der König und seine Königin. Ohne einen Anlass zu nennen. Ein Fest, einfach so. Beide haben sich in kostbare gelbe Gewänder gekleidet und getanzt und gelacht …«
»Du willst sagen, sie haben Catalinas Tod gefeiert? «
Jerome nickte unglücklich. »Du weißt ja, dass Suffolk niemals ein schlechtes Wort über den König spricht. Aber sogar er fand es widerlich.«
Sie schwiegen einen Moment, und als wolle sie ihrem Beispiel folgen, verstummte auch endlich die verdammte Glocke von St. Peter ad Vincula.
»Erzähl mir, was sonst noch geschieht«, bat Nick. »Warst du in Waringham? Was ist aus Polly und den Kindern geworden? Und aus Madog?«
»Polly ist in St. Thomas geblieben. Kirchenasyl. Sie hat natürlich große Angst, aber es ist genau wie mit dir: Niemand behelligt sie. Wo Madog war, verrät er nicht. Hier in London, nehme ich an. Ein wilder Geselle wie er …« Jerome grinste und schenkte sich nach. »Jetzt ist er jedenfalls in Waringham und arbeitet bei seinem Bruder auf dem Gestüt.«
»Das ist nicht besonders klug«, warf Nick beunruhigt ein. »Das Schwert hängt über
Weitere Kostenlose Bücher