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Der dunkle Thron

Der dunkle Thron

Titel: Der dunkle Thron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
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aber auf Anweisung des Constable brachten die Wachen ihm die Bücher, Weinkrüge, Speisen und die neuen Kleider, die seine Schwester ihm schickte. So verbrachte er seine Tage in Einsamkeit, aber ebenso in Beschaulichkeit, und während der Graben des Tower zufror und der Schnee den Häusern entlang der Tower Street, die er vom schmalen Fenster seines Quartiers aus sehen konnte, weiße Mützen aufsetzte, las er die letzten beiden Werke, die Sir Thomas More innerhalb dieser Mauern verfasst hatte. Es war keine Überraschung, dass sie sich mit der Furcht vor dem Tod, den Zweifeln an der Richtigkeit des eigenen Weges, aber auch dem Trost des Glaubens befassten, und Nick fühlte sich seinem einstigen Mentor nah, während er genau wie vor einem Jahr Thomas More darauf wartete, dass sein Schicksal sich entschied.
    Die Glocke von St. Peter ad Vincula läutete seit mindestens einer Viertelstunde, und Nick begann sich zu fragen, ob der Glöckner erst aufhören würde, wenn die Kapelle des Tower sich zu seiner Zufriedenheit gefüllt hatte. Er schaute nicht auf, als die Tür zu seinem Quartier sich mit dem inzwischen vertrauten Quietschen öffnete. »Schon Zeit fürs Essen?«
    »Dafür ist es nie zu früh«, bekam er zur Antwort.
    Nicks Kopf fuhr so schnell herum, dass seine Nackenwirbel knackten. »Jerome!«
    Eine Spur nervös schaute sein Freund über die Schulter zur Tür, als diese sich diskret schloss.
    »Nur die Ruhe. Ich bin zuversichtlich, dich lassen sie wieder hinaus«, spöttelte Nick.
    Jerome grinste beschämt und schloss ihn in die Arme. »Waringham. Tut mir leid, dass ich erst heute komme, aber Sir William hat sich strikt geweigert, irgendwen zu dir zu lassen.«
    »Ich weiß.« Nick zeigte auf einen der hölzernen Scherenstühle, die mit altem, rissigen Leder bezogen, aber weitaus bequemer waren, als sie aussahen.
    Jerome steuerte darauf zu, wobei er sich eingehend umschaute. »Ziemlich bescheiden«, brummte er.
    Nick folgte seinem Blick und erwiderte achselzuckend: »Aber geräumig.« Sie befanden sich in einer hohen Kammer im Obergeschoss des Beauchamp Tower mit drei geraden, verputzten Wänden und einer nackten, gerundeten Mauer. Die beiden Fenster waren klein, aber verglast. An der linken Wand stand das ausladende Bett mit den blauen Vorhängen, gegenüber der Tisch, an der Türwand gar eine Truhe. Sie war leer gewesen, als Nick sie zum ersten Mal geöffnet hatte. Jetzt beherbergte sie seine Bücher. Der steinerne Fußboden war mit einer dicken, sauberen Strohschicht bedeckt, und ein großzügiges Kohlebecken vertrieb die ärgste Januarkälte. »Es ist jedenfalls sehr viel besser als alles, was ich bei meiner Ankunft hier erwartet habe.«
    Jerome nickte, trat ans Fenster und stierte auf den verschneiten Tower Hill hinaus, wo sein Vater hingerichtet worden war.
    Nick gestattete ihm das indes nur ein paar Augenblicke lang, dann nahm er ihn beim Arm und führte ihn zum Tisch. »Komm schon. Das führt zu nichts, und es macht einen nie glücklicher, da hinunterzuschauen.«
    »Nein«, räumte Jerome ein und ließ sich in einen der Stühle sinken. Er ergriff den Zinnkrug, der auf dem Tisch stand, und füllte zwei Becher. »Auf dich, Waringham. Und auf alle Überlebenskünstler.« Er nahm einen gewaltigen Zug.
    Nick trank ebenfalls. »Ob ich dazu zähle, muss sich noch herausstellen. Dass ich noch lebe, ist jedenfalls nicht mein Verdienst, und ehrlich gestanden kann ich mir keinen Reim darauf machen.«
    »Das kann niemand. Suffolk wird schon ganz zappelig, weil niemand Anstalten macht, dich anzuklagen. Das ist ihm unheimlich, und niemand sagt ihm irgendwas. Alles, was er weiß, ist, dass Cromwell und Norfolk dich lieber heute als morgen vor Gericht stellen würden, aber nichts passiert.«
    Nick antwortete nicht. Seit einem Vierteljahr lebte er in einem Fegefeuer der Ungewissheit, und er war es gründlich satt, Spekulationen über seine Zukunft anzustellen. Er verschränkte die Arme vor der Brust. »Wieso lassen sie dich plötzlich zu mir?«
    »Das wissen wohl nur Gott und der Constable. Suffolk schickt mich. Ich reite also her, ohne die geringste Hoffnung, dass Kingston mir erlaubt, dich zu sehen, und da sagt er: ›Nur zu, mein Sohn.‹« Jerome seufzte und fuhr sich nervös mit der Linken über die Stirn. »Na ja. Er war sternhagelvoll.«
    »Jerome?«
    »Hm?«
    »Denkst du, du könntest mir bald sagen, welche Hiobsbotschaft dich herführt? Du machst mich … ein wenig nervös.«
    Jerome Dudley nickte unglücklich.

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