Der dunkle Thron
dieser Nachricht empfinden kann.«
Chapuys atmete tief durch, es klang wie ein Seufzer der Erleichterung. »Und ich dachte, ich wäre der einzige, der solch abscheulicher Gedanken fähig ist …«
Sie sahen sich an und tauschten ein kummervolles Lächeln.
Es klopfte, und der Yeoman Warder kam mit dem Wasser herein, einen schlaksigen Jüngling im Schlepptau, der nervös von dem feinen Gefangenen zu dessen Besucher und wieder zurück blickte.
»Oh, tut mir leid, Jenkins, aber jetzt ist es gerade ungünstig. Chapuys, borgt mir ein bisschen Geld, seid so gut. Holt es Euch von meinem Schwager zurück.«
Eustache Chapuys löste die bestickte Börse von seinem Gürtel und warf sie ihm zu, ohne auch nur nachzuschauen, wie viel er darin trug. »Behaltet sie.«
Nick fischte ein paar Pennys heraus und gab sie dem Wachmann. »Könnt ihr später wiederkommen?«
»Natürlich, Mylord.« Er gab dem Jungen eine der Münzen und steckte den Rest ein. »Werdet Ihr uns trotzdem …«
»Natürlich«, fiel Nick ihm hastig ins Wort, der nicht wollte, dass Chapuys von seiner englischen Bibel erfuhr, über welche der Papst und der Kaiser sich so erregten. »Heute Abend oder wann immer es euch passt.«
Wächter und Bursche gingen hinaus.
»Ihr habt Sympathien bei den Yeoman Warders, merke ich«, sagte Chapuys. »Das ist tröstlich zu wissen.«
»Ich habe nichts getan, um sie zu verdienen«, gab Nick achselzuckend zurück. »Vermutlich steckt William Kingston dahinter. Er ist ein wirklich anständiger Kerl.«
»Tja. Der Constable teilt das Schicksal vieler guter Männer in diesen schlimmen Zeiten: Er muss Dinge tun, die ihm den Schlaf rauben, um seinem König zu dienen. Aber vielleicht nicht mehr lange. Ich denke, dass sich in England allerhand ändern wird, und zwar bald.«
Nick stöhnte ungeduldig. »Wollt Ihr mir etwa weismachen, der Kaiser werde nun doch seine Flotte herführen und England für den wahren Glauben zurückerobern?«
»Nein. Aber ich bin überzeugt, dass England bald eine neue Königin bekommt. Diese neuerliche Fehlgeburt wird Anne Boleyns Untergang besiegeln, da bin ich zuversichtlich. Ein Untergang, der sich übrigens seit mindestens einem Jahr anbahnt, wenn Ihr mich fragt, denn der König hat sich verliebt.«
»In wen?«, fragte Nick verwundert.
»Denkt nach, Waringham. Wer mag die Frau sein, die von Tag zu Tag größeren Einfluss auf den König gewinnt und darum verhindert, dass man Prinzessin Mary wie ihre Mutter auf eine zugige Burg in East Anglia schickt, auf dass sie sich dort die Schwindsucht hole? Wer mag es ein, die seit einem Vierteljahr eine schützende Hand über Euch hält und verhindert, dass Cromwell Euch anklagt, auf dass Ihr, wenn Ihr Glück habt, Thomas More aufs Schafott folgen könnt?«
Nick starrte ihn fassungslos an. »Jane Seymour?«
Chapuys lächelte anerkennend.
»Aber … aber sie ist so ein stilles Geschöpf. Und, mit Verlaub, sie ist ein Niemand. Ihr Vater ist ein Ritter aus Wiltshire, wenn ich mich nicht irre.«
»Ja, ja, mag sein. Aber der König will sie nun einmal haben, und wie Ihr zweifellos wisst, sind Henrys Launen das oberste Gesetz in diesem Land. Vielleicht sehnt er sich nach all den stürmischen Jahren mit dieser kleinen Boleyn-Teufelin nach ein wenig Ruhe.«
Nicks Gedanken rasten. Wenn das stimmte, mochte es tatsächlich geschehen, dass die Zukunft für Mary und auch für ihn selbst nicht so schwarz aussah, wie er angenommen hatte. Jane Seymour hatte ihm schließlich gesagt, sie werde für Mary tun, was sie könne. Und sie war gekommen und hatte seine Wunde verbunden, wofür sie womöglich in Schwierigkeiten hätte geraten können. Die entscheidende Frage würde wohl sein, wie groß und wie dauerhaft ihr Einfluss auf Henry war. »Aber wie in aller Welt soll sie Königin werden? Wie ich Anne Boleyn kenne, wird sie kaum genügend Taktgefühl besitzen, um an den Folgen ihrer Fehlgeburt zu sterben, oder?«
»Schwerlich«, stimmte der Gesandte trocken zu.
»Also?« Nick hob beide Hände. »Wie will der König sie loswerden? Noch eine Scheidung? Ich bin gespannt, welche Bibelstelle dieses Mal dafür herhalten soll. Hat er keine Angst, sich vollkommen lächerlich zu machen?«
»Ich weiß es nicht«, musste Chapuys bekennen. »Ich weiß nur, dass er Jane Seymour will und seine Verstimmung gegen die durchtriebene Königin schon seit Monaten zunimmt. Versetzt Euch in seine Lage, mein Freund: Jahrelang hat er gekämpft, um Anne Boleyn zu bekommen, hat seine
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