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Der dunkle Thron

Der dunkle Thron

Titel: Der dunkle Thron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
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misstrauisch. Mochte sie auch einst Catalinas vertraute Hofdame gewesen sein, hatte Jane Seymour den Austausch der Königin doch mit verdächtigem Gleichmut hingenommen und gehörte seit Anne Boleyns Krönung zu deren Haushalt. »Was tut Ihr hier?«
    »Lord Shelton hat mir erlaubt, Eure Wunde zu verbinden, Mylord.«
    »Wie großherzig von ihm …«
    »Schsch«, mahnte sie, wrang ein Tuch aus und tupfte ihm damit die Stirn ab. Es war herrlich weich.
    Er schloss die Augen.
    »Wir haben nicht viel Zeit, also hört mir zu«, sagte sie leise, und ihm war nie zuvor aufgefallen, wie samtweich und schön ihre Stimme war. Sie hob seinen Kopf an und setzte einen Becher an seine Lippen. »Mary ist aufgewacht und in großer Sorge um Euch. Wenn Ihr gestattet, werde ich ihr sagen, dass es Euch gut geht, auch wenn Ihr sterbt.«
    Er trank einen Schluck. Es war ein kräftiger, erdiger Rotwein, und der Geschmack war wohltuend. »Einverstanden.«
    »Wir beide wissen, dass die Dinge jetzt noch schlimmer für das arme Kind werden, aber Ihr habt mein Wort, ich werde für sie tun, was ich kann.«
    »Warum?«, fragte er argwöhnisch. »Warum ausgerechnet Ihr?«
    »Warum nicht? Ich hatte sie immer gern, und außer mir gibt es niemanden hier, der auch nur einen Gedanken an sie verschwendet.«
    »Was soll das hier werden, Lady Jane? Schöne Lügen, um einen sterbenden Narren zu trösten?«
    »Schsch. Ihr dürft nicht sprechen, es strengt Euch zu sehr an. Ihr habt Fieber, Mylord, und …«
    »Wenn Ihr Mary helfen wollt, nehmt Kontakt zu Chapuys auf und verhelft ihr zur Flucht.«
    »Werdet Ihr denn nie klüger? Es gibt bessere Wege, Ihr beizustehen …«
    »Schöne Worte«, knurrte er angewidert.
    Ein wenig unsanft setzte sie den Becher wieder an und ertränkte seine Kommentare in Rotwein. Als sie absetzte, keuchte er und ließ den Kopf erschöpft zurücksinken, zu erledigt für weitere Debatten.
    Mit einem Ruck zerriss sie sein blutgetränktes Hosenbein und betrachtete den Schaden. »Es blutet kaum noch.«
    »Nein. Aber die verdammte Kugel steckt noch drin … Entschuldigung, Lady Jane.«
    Plötzlich lag ihre Hand auf seiner Stirn, warm und tröstlich. »Schon gut.« Er hörte sie lächeln. »Sie werden Euch in den Tower bringen. Dort wird sich ein Medicus finden, der sie herausholen kann.«
    »Ja. Damit genug von mir übrig bleibt, was Cromwell auf die Streckbank legen kann. Süßer Jesus … Das hätte ich wirklich leichter haben können.«

London, Januar 1536
    Aber weder Cromwell noch sonst irgendwer suchte ihn heim, um ihn für die missglückte Fluchthilfe zu bestrafen, ihm einen Eid auf das Thronfolgegesetz, die Suprematsakte oder sonst irgendetwas abzuringen. Niemand schien sich überhaupt für ihn zu interessieren – es war schon beinah beleidigend.
    Den ersten Monat im Tower war er so krank gewesen, dass er nur bruchstückhafte Erinnerungen hatte. An William Kingston, den Constable, zum Beispiel, der mit einem betrübten Kopfschütteln an das Boot getreten war, auf dem man Nick hergeschafft hatte.
    Was habe ich Euch gesagt, Mylord?
    Ich hab’s nicht vergessen, Sir William. Und hier bin ich …
    An Fieber und Schüttelfrost und das unheilvolle Pochen in seinem linken Bein, das irgendwann zu einem so monströsen Schmerz angeschwollen war, dass Nick glaubte, es sei endlich so weit und Cromwell habe seine Drohung wahr gemacht. Doch nicht Cromwells Schergen waren es, die ihn gepackt hielten, sondern Philipp Durham und Jerome Dudley, und es war auch nicht die Streckbank, die ihm solche Qualen verursachte, sondern sein Cousin John Harrison, der mit etwas, das wie eine lange, schmale Zange aussah, in der Wunde herumbohrte. Schließlich hatte er ihm sein blutiges Folterinstrument mit einem stolzen Lächeln vors Gesicht gehalten.
    Da hätten wir das verdammte kleine Mistding.
    Und Nick hatte ihm zum Dank ein bisschen Galle vor die Füße gespuckt …
    Er erinnerte sich an die einzelnen Kanonenschläge, die ihn gelegentlich aus bizarren Fieberträumen rissen, weil wieder ein armer Sünder auf dem Tower Hill sein Leben ausgehaucht hatte. Aber auch wenn Nick jedes Mal zusammenfuhr, sobald die Tür sich öffnete, kamen sie doch nie, um ihn zu holen und zur Richtstätte zu führen.
    Als das Fieber endlich gefallen und er wieder Teil der Welt war, hatte er verwundert festgestellt, dass es Herbst geworden war und der Wind die letzten Blätter von den Bäumen auf dem Tower Hill riss.
    Nachdem er genesen war, ließ man niemanden mehr zu ihm,

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