Der dunkle Thron
seinem Kopf ebenso wie über meinem. Es kann jeden Tag passieren, dass Cromwell sich an uns erinnert und beschließt, es sei an der Zeit, die Verschwörer zu bestrafen. Oder Anne Boleyn.«
»Oh, ich denke, Königin Anne hat im Augenblick ganz andere Dinge im Kopf. Sie ist wieder guter Hoffnung. Inzwischen kann man es sogar sehen.«
»Glückwunsch, Majestät«, brachte Nick hinter zusammengebissenen Zähnen hervor. »Ich wünsche Euch noch so ein niedliches, rothaariges Töchterchen …«
Jerome verzog die Mundwinkel zu einem matten Lächeln und stand auf. Er wirkte rastlos. »Tja dann, Waringham. Besser, ich verschwinde, bevor sie mich rauswerfen.«
Nick erhob keine Einwände, sah ihn aber scharf an. »Kann es sein, dass du noch etwas auf dem Herzen hast, das zu sagen dir schwerfällt? Stimmt irgendetwas nicht in Waringham? Ist meine Schwester krank? Oder mein Bruder?«
»Deinen Bruder sehe ich nur noch, wenn ich gelegentlich bei Hofe bin. Er wird ein richtiger Prachtkerl, Nick, du kannst stolz auf ihn sein. Reitet wie der Teufel. Suffolk sagt, der König hat sich schon zweimal nach ihm erkundigt und behält ihn im Auge.«
Nick unterdrückte ein Seufzen. »Wehe dir, Ray … Aber ich nehme an, es ist das, was er sich wünscht.«
»Es ist das, was jeder Junge am Hof sich wünscht.«
»Vermutlich, ja. Also? Was ist es dann?«
»Ich …« Jerome Dudley musste sich plötzlich räuspern. »Ich werde heiraten, Waringham.«
Nick zog eine Braue in die Höhe. »Und die Braut ist nicht nach deinem Geschmack?«
»Oh doch. Sehr sogar. Aber nicht nach deinem, fürchte ich.«
»Was in aller Welt geht es mich an, wen du heiratest? Wer ist sie?«
Jerome rang noch einen Moment mit sich. Dann schaute er ihm tapfer ins Gesicht. »Lady Louise Howard. Deine Stiefschwester. Suffolk und die Königin haben es ausgehandelt und sie gefragt. Sie ist einverstanden. Wir heiraten Ende des Monats.«
Nick stand langsam auf. Er wollte tausend Dinge sagen, seinen Freund vor ihrer Tücke warnen, ihn anflehen, es nicht zu tun, ihn beschimpfen, weil er ihn so schäbig verriet. Was schließlich herauskam, war: »Ich hoffe, du hast nicht allzu fest mit einer Mitgift von mir gerechnet.«
Jerome schluckte sichtlich. »Die … Königin übernimmt die Mitgift.«
»Na dann. Viel Glück, Dudley.«
»Nick …«
»Hab Dank für deinen Besuch. Aber sei so gut und komm nicht wieder.«
Schwer und grau hingen die Schneewolken über London, sodass es nicht einmal mittags richtig hell wurde, und Nick fand es von Tag zu Tag schwieriger, zu verhindern, dass die kalte Dunkelheit von seinem Gemüt Besitz ergriff. Nicht genug damit, dass er eingesperrt war und früher oder später vermutlich den Kopf verlieren würde, kehrten ihm jetzt auch noch seine Freunde den Rücken. Jerome heiratete Brechnuss. Es war nicht zu fassen.
Suffolk – seit jeher ein politischer Pragmatiker – war offenbar zu der Einsicht gelangt, dass es klüger war, Frieden mit dem Duke of Norfolk zu schließen, als den leisen Stellungskrieg im Kronrat fortzuführen, der sie beide schwächte. Also hatte er eine Verbindung zwischen Jerome Dudley – einem seiner vertrautesten Ritter – und Norfolks Nichte eingefädelt. Kein enger Schulterschluss, wie eine Ehe zwischen einem Sohn und einer Tochter der beiden Parteien es gewesen wäre, aber doch ein Zusammenrücken. Und auch wenn Norfolk für Königin Anne nicht viel übrig hatte, weil sie Reformerin war, war er doch ihr Onkel. Suffolk hatte nicht einmal gewartet, bis Catalina kalt war, ehe er sein Protegé mit der Cousine der Königin verlobt hatte. Und so kam es, dass Nicks Freund ausgerechnet die Frau heiratete, die Marys Flucht auf den Kontinent vereitelt und Nick hierher gebracht hatte.
Nie zuvor hatte Nick sich so verraten gefühlt, und das verschlimmerte das Gefühl von Einsamkeit und Isolation.
Ende Januar klarte es endlich auf; der Himmel über der Stadt war strahlend blau, aber dafür wurde es klirrend kalt.
»Hast du dich erkältet, Jenkins?«, fragte Nick den Yeoman Warder, der ihn nach der Frühmesse in der St.-Peter-Kapelle zurück zum Beauchamp Tower begleitete.
Der Mann schüttelte den Kopf und fuhr sich mit dem Ärmel über die tröpfelnde Nase. »Noch nicht, aber es ist nur eine Frage der Zeit, Mylord. Diese Uniformen taugen vielleicht für den Sommer. Aber von Oktober bis April friert man sich darin halb zu Tode. Das hat mir kein Schwein gesagt, als ich für die Towerwache angeworben wurde …« Er grinste
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