Der dunkle Thron
wieder zu und versuchte, die einzelnen Schmerzquellen zu unterscheiden und zu lokalisieren, um herauszufinden, woran er war: Sein Kopf dröhnte. Die Wunde im Kiefer pochte, und er schmeckte Blut. Sein Magen brannte, an- und abschwellende Schmerzströme durchrieselten seinen Unterleib und brachten ihm den unschönen Moment in Erinnerung, als einer der kegelförmigen Knüppel zwischen seinen Beinen gelandet war. Seine Glieder fühlten sich zerschunden an, nur der linke Unterarm war seltsam taub. Er nahm an, früher oder später würde auch der sich zurückmelden. Mindestens eine Rippe hatten sie ihm auch noch gebrochen. Doch das war alles. Nick fühlte sich grauenhaft genug, aber er verstand nicht so recht, warum es nicht schlimmer war. Weder waren sie ihm mit glühenden Eisen oder siedendem Öl zu Leibe gerückt, noch hatten sie ihn auf die Streckbank gelegt, und ebenso wenig hatten sie ihn zwischendurch gefragt, ob er seine Meinung eventuell geändert habe.
Warum nicht?
Erst als er durchgerüttelt wurde, der linke Arm abrupt aus seiner Taubheit erwachte und Schmerzwellen von den Fingerspitzen bis hinter die Stirn sandte, wurde Nick gewahr, dass er auf einem Karren unter freiem Himmel lag und sich bewegte. Er schlug die Augen wieder auf. Es handelte sich um einen Leiterwagen, erkannte er, und eine Handkette fesselte ausgerechnet den gebrochenen Arm an eine der Sprossen. Der Himmel war grau, verdunkelte sich allmählich, und immer noch fiel der unablässige Niesel. Vorsichtig rutschte Nick ein Stück nach links, um den Arm zu entlasten, und wartete auf bessere Zeiten. Er ahnte, wohin die Reise ging, und ein Gefühl sagte ihm, dass das Ziel nicht mehr weit war.
Das erwies sich als richtig. Ehe es dunkel wurde, rollte der Karren durch einen stillen Weiler, dann eine halbe Meile durch ein Waldstück und hielt schließlich vor einem ländlichen Gutshaus.
Nick hörte zwei Männer vom Bock steigen. Einer kletterte zu ihm auf die Ladefläche und trat ihn unsanft in die Seite. »Ah. Ich sehe, du lebst noch.«
Nick öffnete die Augen einen Spalt breit und erkannte im Zwielicht schemenhaft eine grobschlächtige Gestalt in schäbigen Kleidern mit einer Kapuze auf dem Kopf. Kein Yeoman Warder. Der Kerl schloss die Handkette auf, richtete ohne viel Feingefühl Nicks Oberkörper auf und streifte ihm ein langärmeliges Hemd über. »Kannst du stehen, Freundchen?«
»Sicher.« Mit ein wenig Unterstützung rutschte Nick zum hinteren Ende des Karrens, ließ sich heruntergleiten, hielt sich mit der Rechten an einer der Sprossen fest und fiel trotzdem auf die Knie. »Verflucht …«
»Ach, du wirst schon wieder«, prophezeite der Grobschlächtige zuversichtlich, und dann packten er und sein Kumpan Nick unter den Achseln, schleiften ihn bis vor die Haustür und legten ihn dort ab wie ein Paket.
Nick blieb, wo er war, bis er den Karren davonrumpeln hörte. Dann zog er sich am Türring hoch, lehnte sich an die Zarge und atmete in langen, gleichmäßigen Zügen, bis ihm besser wurde und er das Gefühl hatte, seine Füße würden ihn eventuell ein paar Schritte weit tragen. Schließlich klopfte er.
»Wer kommt so spät am Abend noch an diese Tür?«, fragte eine strenge Frauenstimme.
»Nicholas of Waringham.«
»Ich erkenne Eure Stimme nicht«, gab sie skeptisch zurück.
»Ich auch nicht, Mylady. Womöglich verhält es sich mit meinem Gesicht ganz ähnlich. Aber ich bin es trotzdem.«
»Kommt morgen früh wieder«, befahl sie barsch.
Erschrocken packte Nick den Türklopfer. »Tut das nicht, Lady Margaret«, bettelte er. Die Aussicht auf eine unwirtliche Nacht im Nieselregen in seinem Zustand war alles andere als verlockend. »Ich weiß, Ihr misstraut mir, aber ich schwöre Euch, seit meinem dritten Lebensjahr war ich nicht mehr so harmlos wie heute …«
»Wie habt Ihr mich genannt?«
»Ihr seid Lady Margaret Pole, die Countess of Salisbury. Ihr tragt vorzugsweise italienische Haarnetze und Ihr … verabscheut Spargel.«
Der Riegel rasselte, und die Tür schwang mit einem vernehmlichen Quietschen nach innen. Lady Margaret hielt einen Zinnleuchter mit einer Kerze in der Linken, und als das Licht auf den Ankömmling fiel, schlug sie die freie Hand vor den Mund und wich einen Schritt zurück. Ihre Augen waren riesig. Dann ließ sie die Hand sinken. »Heilige Maria, voll der Gnaden …«
Nick versuchte ein Lächeln und humpelte über die Schwelle. Als er ins Wanken geriet, schlang Lady Margaret einen Arm um seine Taille und
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