Der dunkle Thron
er einigermaßen sicher sein konnte, dass er nicht mehr wie ein geschlachtetes Ferkel aussah.
Unterdessen hatte Mary ihr Werk beendet. Sie nahm ein großes Tuch vom Tisch, faltete es auf dem Schoß zusammen und band es zu einer Schlinge. Mit gesenktem Kopf blickte sie darauf hinab, und ihre Schultern zuckten. Sie streckte ihm die Schlinge entgegen, ohne ihn anzusehen, stützte den Ellbogen auf den Tisch, die Stirn auf die Faust und weinte bitterlich.
Nick legte sich ungeschickt die Schlinge um den Hals und führte den linken Unterarm hinein. »Viel besser«, murmelte er erleichtert. Es zeigte nicht die erhoffte tröstende Wirkung. Mary weinte weiter. Sie versuchte, ihr Schluchzen zu unterdrücken, aber hin und wieder entschlüpfte ihr ein kleines, erbarmungswürdiges Wimmern.
Nick fand es unmöglich, diese Laute tatenlos anzuhören, und nahm ihre freie Hand mit der unverletzten Rechten. »Schsch. Schon gut, Hoheit. Wirklich, es besteht kein Anlass, dass Ihr …«
»Es ist meine Schuld«, fiel sie ihm ins Wort. »Alles ist meine Schuld. Weil ich mich meinem Vater widersetzt habe und Ihr zu mir gehalten habt, ist all das passiert. Die Schussverletzung. Die Monate im Tower. Jetzt … das hier.«
»Ihr irrt Euch. Es ist nicht Eure Schuld. Aber genau das ist es, was Ihr denken sollt. Darum hat Cromwell mich so hübsch herrichten und dann hierher karren lassen. Um Euch Gewissensbisse zu verursachen. Damit Ihr endlich mürbe werdet und nachgebt. Fallt nicht darauf herein.«
Mary zog ein Taschentuch aus dem Ärmel, trocknete ihre Tränen und hob dann den Kopf. Sie war sehr bleich, und der Schmerz in den großen braunen Augen machte ihm zu schaffen. Dann beugte sie sich über seine Hand, küsste die roten Druckstellen, die die Ketten hinterlassen hatten, drückte die Innenfläche an ihre Wange und schloss die Lider. »Ich kann nicht mehr, Nick«, flüsterte sie.
»Nein, ich weiß.«
Die Wange unter seiner Hand fühlte sich unglaublich zart an, und ohne jeden bewussten Entschluss streichelte er mit dem Daumen darüber. Er betrachtete das schmale, herzförmige Gesicht, die langen Wimpern, das dunkelblonde Haar, das im Kerzenlicht wie Harz schimmerte, und er war beinah dankbar, dass es ihm so lausig ging. Denn jetzt, da ihnen unter der drückenden Last ihrer Niederlage alle Masken entglitten waren, herrschte mit einem Mal eine Vertrautheit zwischen ihnen, die unter anderen Umständen gefährlich hätte werden können.
Er räusperte sich, um sie beide zur Ordnung zu rufen, aber Mary ließ ihn nicht los und hielt die Augen weiter geschlossen.
»Wie immer Eure Entscheidung ausfallen mag, Ihr dürft sie nicht von der Frage abhängig machen, was aus mir wird«, sagte er eindringlich. »Denn ich habe meinen Weg selbst gewählt, und ich wusste ganz genau, was ich tat.«
»Aber es war meinetwegen«, beharrte sie. »Ihr habt Euch als Stallknecht in den Haushalt meiner Schwester eingeschlichen, weil Ihr meiner Mutter versprochen hattet, mich zu beschützen.«
»Mag sein. Aber ich habe den Eid auf das Thronfolgegesetz verweigert, damit der Tod meines Vaters nicht völlig sinnlos wurde. Und um dem König zu zeigen, dass er mit Widerstand rechnen muss, wenn er das Recht mit Füßen tritt, solange noch ein Waringham übrig ist. Es hatte im Grunde gar nichts mit Euch zu tun. Es hatte noch nicht einmal mit mir und dem König persönlich zu tun, jedenfalls nicht nur.«
»Sondern womit?«, fragte sie.
Nick hob ratlos die rechte Schulter. »Damit, was die Waringham und die Tudor – oder zuvor die Lancaster – einmal füreinander waren. Der König hat es vorgezogen, das zu vergessen. Ich … wollte ihn daran erinnern.«
Endlich schlug sie die Lider auf und sah ihm in die Augen. »Es ist nicht ratsam, den König an Dinge zu erinnern, die er lieber vergessen möchte.«
»Nein«, musste Nick beipflichten. Er nahm die Hand von ihrer Wange, hielt ihre zierliche Rechte aber weiterhin fest und legte sie auf sein Knie.
»Also?«, fragte die Prinzessin. »Was machen wir jetzt?«
»Wir treffen eine Wahl. Zusammen.«
Mary nickte. »Eine Wahl zwischen zwei Übeln«, bemerkte sie bitter. »Bedingungslose Kapitulation oder öffentliche Hinrichtung. Schrecken ohne Ende oder Ende mit Schrecken. Ich kann mich einfach nicht entscheiden, welche Form der Niederlage die schlimmere wäre.«
Doch Nick schüttelte den Kopf. »Ganz so machtlos über unser Schicksal sind wir nicht, meine ich.«
»Was soll das heißen?«
»Die Wahl, die wir
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