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Der dunkle Thron

Der dunkle Thron

Titel: Der dunkle Thron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
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treffen müssen, heißt leben oder sterben. Wir können dem König geben, was er will. Das wäre bitter, nachdem wir ihm so lange die Stirn geboten haben, aber die neue Königin würde dafür sorgen, dass zumindest für dich die Geschichte damit ausgestanden wäre. Dein Vater würde dir vergeben und dich an den Hof zurückkehren lassen. Und vermutlich würde die Königin es sogar fertigbringen, dass ich mit einem blauen Auge davonkäme. Wir hätten verloren, aber wir könnten weiterleben. Oder wir entscheiden uns anders und sterben. Heute Nacht, hier. Ohne öffentliches Spektakel. Wir schicken nach deinem Kaplan und beichten. Dann öffnest du mir die Pulsadern und ich dir. Die alten Römer haben sich auf diese Weise umgebracht, ich habe darüber gelesen. Sie haben es bei sich selbst getan, weil sie nicht wussten, dass man dafür in die Hölle kommt. Aber wir könnten es gegenseitig machen, um diese Gefahr auszuschließen. Es ist ganz einfach. Es tut nicht einmal besonders weh.« Er drehte ihre Hand um und fuhr mit dem Zeigefinger über die Stelle am Handgelenk, wo man den Schnitt ansetzen musste. »Also? Was tun wir?«
    Mary dachte lange nach. »Wenn ich nur wüsste, was meine Mutter gewollt hätte«, murmelte sie schließlich. »Was würde sie als das schlimmere Übel ansehen? Dass ich sie verrate und weiterlebe? Oder ihr treu bleibe und nicht weiterlebe?«
    »Ich weiß es nicht«, erwiderte Nick. »Ich weiß nicht einmal, ob es wichtig ist. Deine Mutter ist tot, Mary. Genau wie mein Vater. Wir müssen für uns entscheiden.«
    »Du hast recht.« Ihr Blick richtete sich ins Leere, während sie in sich hineinhorchte. Nick konnte nur raten, was sie zu hören hoffte – ihre innere Stimme, eine Antwort von Gott oder einen Rat ihrer Mutter aus dem Jenseits. Wieder rannen Tränen über ihre Wangen, und sie wischte sie abwesend mit dem Handballen ab. Dann schaute sie ihm in die Augen. »Ich habe meine Wahl getroffen.«
    »Ich auch.«
    »Und was machen wir, wenn es nicht die gleiche ist?«
    »Darüber zerbrechen wir uns den Kopf, wenn das Problem sich stellt.«
    »Wer zuerst?«
    »Wir sagen es gleichzeitig.«
    »Auf drei?«, schlug die Prinzessin vor.
    »Ja.«
    »Eins, zwei, drei …«
    »Leben«, sagten sie beide.

Hampton Court, Juli 1536
    König Henry stand breitbeinig vor dem Thronsessel in seiner Audienzhalle, die Hände auf dem Rücken verschränkt, und sah mit ausdrucksloser Miene auf den jungen Earl of Waringham hinab, der vor ihm auf den Marmorfliesen kniete.
    »Ihr habt also den Eid auf das Thronfolgegesetz und die Suprematsakte geschworen.« Es war halb eine Frage, halb eine Feststellung.
    »Ja, Majestät.«
    »Welch späte Einsicht«, höhnte der König.
    Nick hielt den Blick auf die goldene Schnalle an Henrys linkem Schuh gerichtet und antwortete nicht.
    »Nun, Wir nehmen Eure Abkehr von Euren Irrwegen zur Kenntnis, Lord Waringham. Mit aller gebotenen Skepsis. Wir haben nämlich nicht vergessen, dass Ihr schon einmal einen heiligen Schwur gebrochen habt. ›Vasallentreue und Gehorsam‹ habt Ihr Uns gelobt. Wie wollt Ihr Euer Handeln während der vergangenen Jahre rechtfertigen, mit dem Ihr Uns wieder und wieder die Treue gebrochen und den Gehorsam verweigert habt?«
    »Mit der Magna Charta , Majestät.«
    »Mit der was?«, fragte Henry verdutzt.
    »Die Magna Charta Libertatum . Sie mag dreihundert Jahre alt sein, aber sie gilt. Und sie besagt, dass auch der König sich an die Gesetze halten muss, wenn er die Lehnstreue seiner Lords einfordern will.«
    »Nick …«, zischte der Duke of Suffolk warnend, beinah verzweifelt. Er stand mit Erzbischof Cranmer rechts hinter Nick am Fenster. Sonst war niemand zugegen.
    »Dieses Dokument, von dem Ihr sprecht, ist das Ergebnis einer schamlosen Erpressung, mit der eine Handvoll rebellischer Lords einem schwachen König Zugeständnisse abgegaunert haben«, grollte der König.
    »Und doch haben Eure und meine Vorfahren für sie gekämpft und sind für sie gestorben, Majestät«, entgegnete Nick. Er staunte darüber, wie ruhig seine Stimme klang, denn seine Hände waren feucht, und er hatte den Verdacht, der seidene Faden, an dem sein Leben hing, sei noch nie so dünn gewesen wie in diesem Augenblick. »Ich habe mich indes entschlossen, den Eid auf die Thronfolge und das Supremat zu leisten und mich damit Eurem und dem Willen des Parlaments zu beugen. Der Duke of Suffolk und Eustache Chapuys waren zugegen und können bezeugen, dass ich dem Wortlaut der Eidformel gefolgt

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