Der dunkle Thron
sie das nächste Mal tun werden. Sogar Chapuys sagt, Mary muss unterschreiben, um ihr Leben zu retten. Jetzt, da keine Hoffnung auf Flucht mehr besteht. Aber sie weigert sich.«
»Sie weigert sich«, fügte Lady Meg hinzu. »Solange es außer ihr noch jemanden auf englischem Boden gibt, der dem König in dieser Sache trotzt, sagt sie.« Sie brach ab.
Nick stand so hastig auf, dass der Stuhl krachend zurückfuhr. »Süßer Jesus …«
»Sie meint dich, Nick«, erklärte seine Schwester unnötigerweise. »Du bist der Letzte, alle anderen sind tot. Wenn du nachgibst, gibt sie auch nach. Wenn du nachgibst, könnt ihr beide weiterleben, und das, was du in den vergangenen drei Jahren getan hast, hätte einen Sinn.«
»Wenn ich nachgebe, verrate ich sie«, widersprach er.
»Nein, Mylord, Ihr rettet ihr Leben. Und das Eure.«
»Ich kann nicht fassen, das ausgerechnet Ihr das zu mir sagt, Lady Meg. Ist es möglich, dass Ihr vergessen habt, wofür Euer Vater gestorben ist?«
Sie wurde nicht wütend, aber ihre Stimme hatte eine ungewohnte Schärfe, als sie entgegnete: »Ist es möglich, dass Ihr vergessen habt, worum mein Vater Euch schon am Tag seiner Verhaftung gebeten hat? Er wollte nie, dass Ihr den gleichen Weg einschlagt wie er. Er wollte, dass Ihr weiterlebt, um Prinzessin Mary beizustehen.«
»Und das habe ich getan«, erinnerte er sie bitter. » Ohne sie zu verraten.«
»Nick, ist dir noch nie der Gedanke gekommen, die Prinzessin könnte insgeheim vielleicht darauf hoffen, dass du einlenkst?«, fragte seine Schwester mit einem Hauch von Ungeduld. »Weil sie gern weiterleben will?«
Er wandte den Blick ab. » Natürlich will sie weiterleben, Laura. Und ich will es auch. Aber du kannst dir nicht vorstellen, wie eisern sie an ihren Prinzipien festhält. In dem Punkt ist sie wie Euer Vater, Lady Meg. Das hat mir immer imponiert. Und es hat mich auch immer erschreckt. Aber das ist eben, was sie ist, und ich habe schon irgendwie gewusst, worauf ich mich einlasse. Jetzt bin ich diesen Weg jedenfalls bis hierher mit ihr gegangen, und ich werde mich nicht so kurz vor dem Ende abwenden. Ich kann nicht. Es wäre einfach zu … schäbig.«
»Und was, wenn ihr euch beide opfert, weil ihr denkt, den anderen im Stich zu lassen?«, gab Lady Meg zu bedenken. »Beide euer Leben wegwerft, obwohl England vielleicht bald einen männlichen Thronerben bekommt, der die ganze Frage der Ehe von Henry und Catalina unerheblich macht? Und obwohl Mary vielleicht bald einen Prinzen aus Frankreich oder Spanien heiraten könnte, der sie zurück in die Obhut der päpstlichen Kirche führt? Nicholas, begreift Ihr denn nicht, wie sinnlos dieses Opfer wäre?«
Nick stand mit dem Rücken zu den beiden Frauen am Fenster und sah zum Tower Hill hinüber. Es hatte nicht genug geregnet, um das Blut vom Block zu waschen; die ganze vordere Hälfte der Holzplanken auf der Richtstätte war rötlich braun eingefärbt, denn bei fünf Enthauptungen kam viel Blut zusammen. Wenn ich es täte und Mary und ich am Leben blieben, woher wüsste ich, ob ich es in Wahrheit nicht nur aus Angst getan habe?
»Tut mir leid, Waringham, die Zeit ist um«, kam William Kingstons Stimme von der Tür. »Mistress Durham, Lady Margaret, ich fürchte, ich muss Euch bitten, nun zu gehen.«
Nick wandte sich um und sagte zu Lady Meg: »Bevor ich mich entscheide, will ich mit Mary sprechen.«
»Aber Mylord, wie stellt Ihr Euch das …«
»Es ist meine Bedingung. Sagt das der Königin. Wenn sie in dieser Sache meine Hilfe will, wird sie noch ein Wunder vollbringen müssen.«
Lady Meg biss sich auf die Unterlippe und drückte kurz seine Hand. »Ich werde tun, was ich kann. Und beten, dass Cromwell ihr nicht zuvorkommt, um seine Art von Wunder zu wirken. Denn auch er weiß, dass nur Ihr zwischen ihm und Marys Einlenken steht.«
Als Jenkins drei Tage später sein Quartier betrat, sah Nick sofort, dass seine Schonfrist abgelaufen war. Es waren nicht einmal so sehr die Ketten, die der Yeoman Warder mitbrachte, die das verrieten, sondern mehr noch sein Gesichtsausdruck.
»Ihr werdet verlegt, Waringham.«
Kein ›Mylord‹ mehr, bemerkte Nick. Er klappte sein Buch zu und stand auf. »Wohin?«
»In den White Tower.«
Nick fragte nicht weiter. Er wusste, dass die Streckbank im White Tower stand. Wortlos trat er auf den Wachmann zu, und während der ihm die Handketten anlegte, sah Nick sich in dem Raum um, der ihn fast ein dreiviertel Jahr lang beherbergt hatte. »Wenn ich nicht
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