Der dunkle Thron
wiederkomme, soll man meiner Schwester die Bücher schicken«, ordnete er an.
Jenkins nickte knapp. »Ich sorg dafür.«
»Danke, Jenkins. Für alles. In der Truhe liegt meine Börse. Nimm, was noch darin ist. Nicht viel, fürchte ich.«
Jenkins ging zur Truhe, öffnete sie und holte den kleinen Lederbeutel heraus. Kopfschüttelnd befestigte er ihn an Nicks Gürtel. »Das braucht Ihr da unten dringender als hier, glaubt mir.«
Nick konnte sich nicht vorstellen, was es ihm dort nützen sollte, aber er widersprach nicht. Er war vollauf damit beschäftigt, ruhig und gleichmäßig zu atmen, und er musste dringend pinkeln.
Der Yeoman Warder führte ihn die Treppe hinab und ins Freie, wo zwei fremde Wachen Nick erwarteten.
»Viel Glück, Waringham«, murmelte Jenkins.
Die beiden Wachen packten Nick an den Armen und führten ihn ein Stück durch den Nieselregen. Es war ein stiller, grauer Tag; im Innenhof war nicht viel Betrieb. Vor dem White Tower hockten fünf Raben auf der Wiese, reglos wie Steine.
Die Yeoman Warders stießen ihn die Treppe zum Eingang hinauf, dann durch eine Vorhalle zu einer Wendeltreppe in einem der Ecktürme, und es ging abwärts. Unten gelangten sie in einen von Fackeln erhellten Gang, und der Geruch von dreckigem Stroh, menschlichen Ausscheidungen und Angst schlug ihnen entgegen.
Sie folgten dem dämmrigen Korridor, bis er eine scharfe Linksbiegung machte. Hinter einer der Türen, die die Wände in unregelmäßigen Abständen unterbrachen, erschollen erbarmungswürdige Schreie. Nicks Kopfhaut kribbelte. Sein Schritt geriet ins Stocken. Irgendwo hier unten, wusste er, gab es eine Tür zu einem Geheimgang, der unter der Ringmauer hindurch in die Freiheit führte. Zwei seiner Vorfahren waren einmal auf dem Wege entkommen. Aber bedauerlicherweise hatte die Familienlegende versäumt, zu berichten, wo genau diese Tür sich befand …
Eine der Wachen schlug ihn mit der Faust zwischen die Schulterblätter. »Vorwärts.«
Nick ging weiter, und die Schreie blieben zurück. Aber er konnte sie immer noch hören. Dann ging es noch einmal einige Stufen hinab. Sie kamen in einen breiteren Gang und hielten vor einer eisenbeschlagenen Tür.
Eine der Wachen klopfte, und als von innen geöffnet wurde, stießen die Yeoman Warders Nick über die Schwelle in ein modriges fensterloses Gelass mit nackten Steinwänden. Der Raum war größer, als er erwartet hatte – wenngleich er nicht hätte sagen können, was er eigentlich erwartet hatte – und von vielen Fackeln erhellt.
»Mylord of Waringham. Endlich finden wir zueinander.«
Nick hatte das Gefühl, kleine Rinnsale von Eiswasser flössen ihm den Rücken hinab. Er wandte den Kopf. »Master Cromwell.«
Der Sekretär des Königs und Generalvikar der englischen Kirche trug dunkle, schlicht wirkende Kleider, wie die Reformer sie bevorzugten, aber der Kragen seines Mantels war aus irgendeinem schwarzen Pelz, und die schwere Amtskette auf seiner Brust funkelte im Fackelschein. Cromwell erhob sich von dem Schemel, auf dem er gewartet hatte, trat zu Nick und betrachtete ihn konzentriert. Wenigstens lächelte er nicht.
»Ich habe Euch herbringen lassen, um Euch nochmals zu fragen, ob Ihr gewillt seid, den Eid auf das Thronfolgegesetz und die Suprematsakte zu leisten.«
Nick zwang sich, ihm in die Augen zu sehen. »Ich denke, heute nicht.«
Cromwell nickte eine Spur desinteressiert, wandte sich ab und ging hinaus.
Verdattert starrte Nick ihm hinterher, während die Wachen ihn in die Raummitte führten und ihm Wams und Hemd vom Leib rissen. Dann hingen sie die Kette seiner Handfesseln an einen Haken in der Decke, sodass Nicks Arme über dem Kopf ausgestreckt waren, und holten sich jeder einen stabilen kurzen Holzknüppel, die wie Kegel geformt waren und in einer Reihe an der Wand hingen. Damit stellten sie sich vor ihn und betrachteten ihn einen Moment, als gälte es, sich seine Physiognomie einzuprägen. Dann schlug der erste ihm mit seinem Knüppel vors Knie.
Nick hatte nicht geahnt, dass ein Knie so höllisch schmerzen konnte, und er schrie auf, biss aber sofort die Zähne zusammen. Der zweite Schlag traf den Ellbogen und war genauso schlimm. Der dritte brach ihm den linken Arm, der vierte kostete ihn einen Backenzahn, und danach hörte er auf zu zählen.
Als er zu sich kam, lag er auf dem Rücken auf einer harten Unterlage. Augenblicklich bereute er, aufgewacht zu sein, denn Schmerz stürzte auf ihn ein wie eine schwarze Welle. Er kniff die Augen
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