Der dunkle Thron
hatten. Ich schätze, irgendwann haben alle Betroffenen ein neues Plätzchen gefunden oder sind verhungert. Jedenfalls wird der Strom versiegen.«
»Ja, früher oder später bestimmt.« Nick trank einen Schluck. »Was gibt es sonst Neues?«
Madog erzählte von der Schafschur und dem Gestüt, aber da Nick nur einen Monat fort gewesen war, gab es nicht viel zu berichten. »Ach ja, und deine Stiefmutter ist krank«, schloss Madog.
»Wirklich?«, gab Nick zurück. »Ich hoffe, es ist etwas Ernstes? Wenn sie uns von ihrer Gegenwart erlöst, könntest du mit deiner Familie endlich drüben ins Wohnhaus ziehen, wie es für den Steward angemessen wäre, statt bei deinem Bruder im Stallmeisterhaus unterzukriechen.«
»Simon meint, es ist Rheumatismus. Also nicht unmittelbar tödlich, aber qualvoll.«
»Immerhin«, brummte Nick, und sie lachten über ihre Flegelhaftigkeit. »Was machen Elena und die Kinder?«
»Bestens«, versicherte der Steward. Er hatte Philipp Durhams jüngste Schwester geheiratet, und sie bekam ein Kind nach dem anderen. Soweit Nick sagen konnte, war es eine glückliche Ehe, und Madog, der doch als Stallknecht am Hof der Prinzessin wirklich nichts hatte anbrennen lassen, war ausgesprochen häuslich geworden.
Es klopfte, und ohne eine Aufforderung abzuwarten, trat Vater Simon ein, der Priester, den Nick nach der Auflösung von St. Thomas nach Waringham geholt hatte. »Alles ruhig in der Halle«, berichtete Simon und kam lächelnd an den Tisch. »Nick.«
»Simon.«
Der Geistliche setzte sich zu ihnen und schenkte sich ein. »Alles in Ordnung? Deine Familie und deine Schwester wohlauf?«
»Das sind sie«, antwortete Nick.
»Du siehst ein bisschen grimmig aus«, beharrte Vater Simon.
»Wirklich? Vielleicht, weil ich heute früh das Vergnügen hatte, Thomas Cromwell zu begegnen. Das macht mich immer ein wenig grimmig.«
Madog und Simon wechselten einen entsetzten Blick.
»Was wollte er, um Himmels willen?«
»Was er immer will, Madog. Meinen Kopf. Aber er war nicht so recht mit dem Herzen bei der Sache. Er hat eine Menge Sorgen, der Ärmste …«
Simon lächelte boshaft und hob seinen Becher. »Mögen Cromwells Sorgen sich Nacht um Nacht verdoppeln«, sagte er und trank einen Schluck. »Und das werden sie, seid guten Mutes. Nichts ist tödlicher, als einem König die falsche Braut ins Bett zu legen.«
Simon war ein Neville – und darum auf ebenso verschlungenen Pfaden mit ihm verwandt wie Madog, wusste Nick. Die Neville waren berühmt für ihren politischen Instinkt. Mit dem Ende der Rosenkriege war die einst so mächtige Familie beinah in Bedeutungslosigkeit versunken, aber es gab sie noch. Simons Scharfblick und sein gänzlich unpriesterlicher Zynismus hatten Nick schon zu manch verblüffender Einsicht geführt. Der Geistliche war Anfang dreißig, groß von Statur, hatte dunkles Haar, beinah schwarze Augen und ein kantiges, aber gut aussehendes Gesicht. Die jungen Mädchen tuschelten und kicherten, wenn er durchs Dorf ging, und machten ihm schöne Augen, aber ihre Mühe war vergebens. Simon Neville war rettungslos und unglücklich in Lord Waringham verliebt und schrieb ihm nachts heimlich Gedichte, die er immer sogleich wieder verbrannte.
Nick war anfangs konsterniert und erschrocken gewesen, als Madog ihm die Augen geöffnet und behutsam erklärt hatte, wie es um Simon stand und warum dieser Nick niemals auch nur die Hand reichte, wenn es sich vermeiden ließ. Und es hatte Nick verlegen gemacht, dass er – abgesehen von der Köchin und ihrem Mann – allein mit Simon im Bergfried wohnte. Er hatte befürchtet, ins Gerede zu kommen. Doch der Geistliche war viel zu feinfühlig und auch zu vornehm, um ihm unwillkommene Avancen zu machen, und inzwischen hatte Nick sich daran gewöhnt, Gegenstand seiner unerfüllten Sehnsüchte zu sein. Er hätte Simon nicht mehr missen wollen. Gebildet, kultiviert und mit einem ausgesprochen bissigen Humor gesegnet, war der Priester ein großer Gewinn, und er flößte sogar Sumpfhexe Respekt ein.
»Glaubst du, du bist hier sicher?«, fragte Madog Nick skeptisch.
Der zuckte die Schultern. »Ist irgendwer heute irgendwo in England sicher? König Henry und Bischof Gardiner haben mit ihren Sechs Artikeln eine Kehrtwende in der Reformbewegung vollzogen, und auf einmal sind es die Reformer, die sich vorsehen und verstecken müssen. Sogar Erzbischof Cranmer, wie man hört. Er musste seine Frau außer Landes schicken, an der er doch so hängt.«
»Der
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