Der dunkle Thron
Waringham und sein Hauskaplan können ja vielleicht ausschlafen, aber ich armes Schwein muss mit dem ersten Hahnenschrei aus den Federn.«
Tatsächlich war Nick bei Sonnenaufgang schon im Gestüt und wartete, mit dem Rücken an die Sattelkammer gelehnt, als Madog und sein Bruder Owen aus dem Haus kamen.
Der Stallmeister streckte ihm lächelnd die Hand entgegen. »Willkommen zu Hause, Mylord.«
»Danke, Cousin.«
Owen war weitaus förmlicher im Umgang mit ihm als Madog, der nur »Mylord« sagte, wenn er Nick die Leviten las. Doch ganz gleich, wie oft Lord Waringham den Stallmeister aufforderte, ihn beim Vornamen zu nennen, kehrte der doch bei erster Gelegenheit zu seiner leicht distanzierten Höflichkeit zurück. Nick war es gleich. Madog, nicht Owen hatte mit ihm zusammen als Knecht geschuftet, im Stroh geschlafen und sein Leben riskiert, und im Übrigen waren korrekte Umgangsformen etwas, das Nick zu schätzen wusste.
»Wie stehen wir da?«, erkundigte er sich, während sie nebeneinander über die Koppel Richtung Stutenhof gingen.
»Ganz passabel«, antwortete der Stallmeister. »Inzwischen haben alle Stuten gefohlt, und alle Fohlen bis auf die beiden im März haben überlebt und sind gesund.«
Eins der toten Fohlen hatte Nick gehört, das andere einem betuchten Landedelmann aus Dorset. Von den vierzig Stuten, die derzeit hier standen, waren fünfzehn Nicks Eigentum. Von den Übrigen gehörte eine Madog, eine Owen, der Rest Pferdeliebhabern und Züchtern aus beinah dem ganzen Land, die ihre Stuten zum Decken nach Waringham geschickt hatten.
»Hat dieser Kerl aus Dorset sich inzwischen noch einmal gemeldet?« Wie so oft, wenn eine Stute oder ein Fohlen verendeten, hatte der Eigentümer Vorwürfe erhoben und Ansprüche gestellt.
»Ich habe ihm angeboten, seine Stute für die Hälfte des üblichen Preises decken zu lassen. Von Horatio. Damit hat er sich zufriedengegeben.«
»Eine gute Lösung«, befand Nick, blieb stehen und liebkoste einen Pferdekopf, der neugierig über die untere Türhälfte hinweg nach draußen gestreckt wurde. »Sag den Jungs, sie sollen die Stuten mit den älteren Fohlen heute auf die Südweide bringen, Owen. Die Nächte sind so warm, sie können draußen bleiben, denke ich.«
»Wird gemacht, Mylord.«
Owen berichtete auch von den Fortschritten der zwei- und dreijährigen Stuten und Hengste, die hier zu Reitpferden ausgebildet wurden. »Sie machen sich prächtig, aber wenn man es mal genau nachrechnet, lohnt es sich nicht wirklich. Die Preise sind einfach nicht hoch genug, um die Kosten für die lange Zeit zu decken, die wir sie hierbehalten und füttern und ausbilden.«
Das hörte Nick nicht zum ersten Mal, aber junge Pferde auszubilden war nun einmal seine größte Leidenschaft. Darum tat er das, was er bei dieser Gelegenheit immer tat: Er nickte unverbindlich. »Was macht Esteban?«
Sein junger Andalusier hatte keinen italienischen, sondern passenderweise einen spanischen Namen bekommen.
Owens Miene wurde verdrossen. »Jede Menge Wind, Mylord. Er bockt, er tritt, und er beißt. Wenn Ihr mich fragt: Esteban taugt nur dazu, seinen Kadaver an die Schweine zu verfüttern.«
Nick sah ihn strafend an. »Das hab ich nicht gehört, Mann.«
Die beiden walisischen Brüder tauschten beredte Blicke und lachten.
Nach und nach erschienen die Stallburschen zur Arbeit und begrüßten Nick höflich, aber nicht unterwürfig, wie es hier seit jeher Tradition war. Er wechselte ein paar Worte mit ihnen und mit Daniel, Owens Vormann, und ließ sie wissen, wie zufrieden er mit dem Erscheinungsbild seines Gestüts und vor allem mit dem Zustand der Pferde war. An jeder Kleinigkeit konnte man sehen, wie hart und hingebungsvoll hier gearbeitet wurde.
Dann endlich ging er zu Estebans Box im langen Stallgebäude der Zweijährigen und begrüßte seinen temperamentvollen Liebling. »Da bin ich wieder, mein spanisches Prinzlein«, murmelte er. »Bereit für die nächste Runde …«
Esteban hob den Kopf beim Klang der vertrauten Stimme. Er ließ Nick eintreten, ohne die Ohren anzulegen oder auszuschlagen, was ein Fortschritt war. Nick fuhr mit der Rechten über die schwarze, wellige Mähne und blies sacht in die Nüstern. »Ich habe mir überlegt, dass ich dir vielleicht noch einmal in aller Ruhe erklären sollte, was ein Sattel ist, wozu er dient, und warum man nicht in Panik geraten muss, wenn man einen sieht. Was meinst du, hm?«
Er liebkoste Esteban am Kinn und trat einen Schritt beiseite, sodass das
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