Der dunkle Thron
trat zu ihm und sprach die Worte aus, die Cromwell schon ungezählte Male gehört hatte, wenn auch nie an ihn gerichtet: »Mylord, ich verhafte Euch im Namen des Königs.«
»Was … wie lautet der Vorwurf?«, fragte Thomas Cromwell.
»Verrat«, antwortete der Earl of Southampton, erhob sich von seinem Platz, trat zu Cromwell und löste das blaue Band des Hosenbandordens von dessen Knie.
»Und Häresie«, fügte der Duke of Norfolk hinzu und gesellte sich zu ihnen.
»Verrat?«, wiederholte Cromwell matt.
Norfolk nickte. »Es gibt einen Zeugen, der Eure verräterischen Äußerungen gehört hat und bereit ist, dies zu beschwören.« Mit einem süffisanten Lächeln wies er auf Sir Richard Rich, den schmierigen Advokaten und Chancellor der Augmentationskammer, der bereits Sir Thomas More mit einem Meineid aufs Schafott gebracht hatte. In Cromwells Auftrag.
Norfolk riss Cromwell mit einem Ausdruck tiefer Befriedigung die goldene Kette mit dem St.-Georgs-Kreuz von den Schultern. »Da«, sagte er und wies auf den kleinen, schwarz gekleideten Mann mit der komischen Nase. »Nur ein Krämersohn aus Surrey.«
Unterdessen ging Nick zurück zur Krippe, um sein Pferd zu holen, machte aber einen kleinen Umweg über die Shoe Lane. Er betrat sein Haus und stieg die Treppe zur Halle hinauf. John war nicht dort, aber Helen war dabei, die Stummel in den Messingleuchtern auf dem Tisch durch frische Kerzen zu ersetzen.
»Mylord!«, rief sie aus, als sie ihn an der Tür entdeckte, und lächelte ihm scheu zu wie immer.
»Überrascht?« Er packte sie am Ellbogen und zog sie mit einem Ruck zu sich heran. »Du warst sicher, dass ich heute früh verhaftet werde, nicht wahr?«
Helen schrie auf, schrill genug, dass es ihm in den Ohren gellte.
»Warum hast du das getan?«
»Was?«, fragte sie und fing an zu schluchzen.
Sein Klammergriff um ihren Arm wurde fester. »Du weißt genau, was. Du hast Master John und mich belauscht, bist zu einem von Cromwells Spitzeln gelaufen und hast ihm Wort für Wort wiedergegeben, was wir neulich abends hier in der Halle gesagt haben!«
Sie leugnete es nicht einmal, schüttelte nur den Kopf und heulte.
»Und wie gut du dir alles gemerkt hattest. Vermutlich machst du das schon eine ganze Weile und hast Übung, he? Was haben sie dir bezahlt?«
»Mylord, bitte …«
Er hob drohend die Hand. »Wie viel?«
Sie hörte auf, sich zu winden, senkte den Kopf und flüsterte: »Zehn Schilling.«
»Zehn Schilling«, wiederholte er. »Meine Schwester hat dich von der Straße aufgelesen und dir in diesem Haus ein Heim gegeben, und du verkaufst die Loyalität, die du unserer Familie schuldest, für zehn Schilling? « Angewidert stieß er sie von sich, hart genug, dass sie mit der Hüfte gegen die Tischkante prallte.
»Sie haben gesagt, sie sorgen dafür, dass ich eingesperrt werde, wenn ich es nicht tue …«, versuchte sie zu erklären.
»Dann hättest du zu Master John oder zu mir kommen müssen, und wir hätten einen Weg gefunden, dir zu helfen. Aber was du getan hast, war unverzeihlich.«
»Wieso?«, konterte Helen, und ihre Verzweiflung machte sie nun ebenfalls wütend. »Alle tun es! Und ich hätte niemals Master John oder Master Philipp und Mistress Laura verraten, aber Ihr seid Papist, und das ist verboten!«
»Verstehe. Du warst also der Ansicht, du hättest das Recht, dich zu meinem Richter aufzuspielen. Nun, wir werden ja sehen, wie es dir gefällt, wenn ich den Spieß umdrehe. Du weißt doch sicher, dass ein Langfinger aufgehängt wird, wenn sein Diebesgut zehn Schilling oder mehr wert ist? Du hast mich für zehn Schilling an Cromwell verkauft. Also werde ich jetzt nach dem Büttel schicken und ihm sagen, dass du hier einen silbernen Kerzenleuchter gestohlen hast, Helen. Ich werde sagen, ich hätte ihn in deiner Kammer gefunden. Kein Mensch wird dir glauben, wenn du deine Unschuld beteuerst. Sie werden dich ins Newgate sperren, und was hübschen Mädchen wie dir dort geschieht, ist so grauenvoll, dass du froh sein wirst, wenn der Tag deiner Hinrichtung endlich gekommen ist.«
Helen sank langsam auf die Knie, krümmte sich wimmernd zusammen und schlang die Arme um den Kopf.
Mitleidlos schaute Nick noch einen Moment auf sie hinab, dann wandte er sich um und entdeckte seinen Cousin John, der reglos und ziemlich blass an der Tür stand. Der Blick, mit dem er Helen betrachtete, zeigte eine Mischung aus Enttäuschung und Unverständnis. Aber seine Stimme klang vollkommen ruhig, als er sagte: »Ich
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