Der dunkle Thron
Aber das sind Kleinigkeiten. Teurer wird die Instandsetzung der Treppen.«
»Sie ist aber unumgänglich für die Sicherheit der Kinder«, erklärte Nick kategorisch.
»Ich weiß«, sagte Madog.
»Was wir vor allem brauchen, sind Schulbücher«, warf Simon ein. »Und ich fürchte, auch das wird teuer, Nick.«
Der nickte versonnen. »Stellt eine Liste der Bücher auf, die wir brauchen«, bat er die drei Lehrer. »Dann rechnen wir. Vielleicht finden wir einen Drucker in London, der uns einen guten Preis macht oder der bereit ist, auf sein Geld zu warten, bis ich im Frühjahr die Pferde verkauft habe.«
»Ich kenne einen Drucker in der Holborn Street«, fiel Anthony ein. »Er war Mönch. Ich bin sicher, er lässt mit sich reden.«
»Großartig, Anthony.«
Einen Moment herrschte Schweigen am Tisch. Schließlich breitete Simon die Hände aus und sagte: »Tja. Fehlen nur noch die Schüler. Und Schülerinnen«, fügte er mit spöttischem Unterton hinzu.
»Sie werden sich finden«, antwortete Nick zuversichtlich. »Lady Meg hat versprochen, jeden Vater, der ein Kind auf ihre Schule schicken will, an uns zu verweisen. Ich sage euch, vor Ostern haben wir alle Plätze belegt.«
Janis’ Gemach war eine großzügige Kammer mit einem Kamin, und das kleine Fenster wies auf den Rosengarten. Nick hatte die Mägde offenbar angewiesen, sie wohnlich herzurichten: Eine Schale mit Äpfeln und Nüssen stand auf dem Tisch, eine Waschschüssel mit Kanne und reinen Leinentüchern auf der Truhe neben dem Bett, dessen Vorhänge aus dem gleichen mitternachtsblauen Tuch waren wie die Sitzpolster der Fensterbank. Und das Beste von allem: Zwei Wandborde waren mit Büchern gefüllt, die Janis großteils noch nicht kannte. Sie war sicher, Nick hatte die Werke persönlich ausgewählt, und dass er daran gedacht und sich die Mühe gemacht hatte, erfüllte sie mit einem Glücksgefühl, dessen Heftigkeit ihr albern erschien, geradezu verdächtig.
Es war keineswegs so, dass Janis sich bislang in ihrem Leben ungeliebt gefühlt hätte. Ihr Vater hatte getan, was er vermochte, um ihr die Mutter zu ersetzen, und sie erinnerte sich mit Zärtlichkeit an ihn. Und mit Dankbarkeit für die Sicherheit, die seine Zuwendung ihr gegeben hatte. Aber ihren Wissensdurst und ihren Hunger nach Büchern hatte er nie begriffen, geschweige denn geteilt. Er fand diese Neigungen absonderlich für ein Mädchen. Solange sie klein war, hatte er sie damit geneckt, und als sie älter wurde, hatte er ihr Vorhaltungen deswegen gemacht. Wenn sie so weitermache, werde er nie einen vernünftigen Mann für sie finden, hatte er ihr prophezeit. Ihr Wunsch, ins Kloster zu gehen, hatte ihn verstört und gekränkt.
Im Kloster hatte sie Geborgenheit in der Gemeinschaft gefunden, aber niemanden, der ihr seelenverwandt gewesen wäre. Die Schwestern wollten nichts anderes sein als Bräute Christi. Die Novizinnen und Schülerinnen waren Janis hingegen geistlos und oberflächlich erschienen, und sie machten sich hinter ihrem Rücken über ihre Büchersucht lustig. Janis hatte sich an den Gedanken gewöhnt, dass sie wohl niemals einen Menschen finden würde, der verstand – oder auch nur wissen wollte –, was sie eigentlich suchte. Und vermutlich war das der Grund, warum der Anblick dieser beiden Wandborde voller Bücher sie mit solcher Seligkeit erfüllte.
Sie strich mit dem Zeigefinger der Linken über die Rücken, zog einen Band heraus, und ehe sie ihn auf den Tisch legen konnte, rutschten einige zusammengeheftete, aber nicht gebundene Schriften heraus. Janis fing die Ausreißer geschickt auf, trug sie zum Tisch, und als sie den Titel der obersten las, stockte ihr beinah der Atem.
Sie hatte keine Ahnung, wie viel Zeit vergangen war, als sie Nicks Stimme in ihrem Rücken hörte: »Und? Was ist es?« Er beugte sich über sie und küsste ihr Ohr.
»Luthers Freiheit eines Christenmenschen . Ich wusste gar nicht, dass es das in England noch gibt. Ich dachte, der König hätte sie alle verbrennen lassen.«
»Hm«, machte er höhnisch. »Das war in den Tagen, ehe er den Reformern seine Seele verkauft hat. Aber die Schrift ist immer noch verboten. Simon Neville wäre sicher bestürzt, sie in deinen zarten Frauenhänden zu sehen …«
Über die Schulter sah sie stirnrunzelnd zu ihm auf. »Wird er mir das Leben schwer machen?«, erkundigte sie sich.
»Ich bin nicht sicher. Wir müssen abwarten«, antwortete Nick. Dann vollführte er eine vage Geste, die das gesamte Gemach umschrieb.
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