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Der dunkle Thron

Der dunkle Thron

Titel: Der dunkle Thron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
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wirkt das Bildnis deswegen so lebendig, dass man immer meint, sie werde im nächsten Moment die Hand durch den Rahmen strecken.«
    »Ihr schmeichelt mir, Mylord.«
    Doch Nick schüttelte den Kopf. »Im Gegenteil. Es ist das einzige, was mich mit ihr verbindet. Was ich über meine Mutter weiß, ist das, was ich in dem Gesicht auf dem Gemälde lesen kann. Ich glaube nicht, dass es viele Bilder gibt, die so hoch geschätzt und so oft angeschaut werden.«
    Wie alle Künstler war auch Susanna Horenbout nicht gegen Eitelkeit gefeit und offensichtlich erfreut über seine Worte. »Ihre Großzügigkeit und Güte habt Ihr jedenfalls geerbt, Mylord.«
    »Ich habe Zweifel, dass mein Sohn oder meine Pächter sich dieser Meinung anschließen würden«, gab er zurück, und die Damen lachten.
    »Welcher Meinung?«, fragte Francis, der plötzlich an seiner Seite stand.
    Nick sah auf ihn hinab und zog ihn am Ohr, aber zu sacht, um ihn zu maßregeln. »Was ist denn das schon wieder für ein Benehmen, Francis of Waringham?«
    Francis verneigte sich ein wenig hastig vor den Damen. »Ladys.«
    »Welch eine Freude, dich zu sehen, Francis«, sagte Mary und strich ihm über den Schopf.
    Er gab ein gedämpftes, unwilliges Brummen von sich und warf seinem Vater einen Blick zu, der besagte, dass ihm hier allerhand zugemutet werde. »Mutter schickt mich«, erklärte er. »Sie wünscht dich zu sehen.«
    »Sag ihr, ich komme gleich«, trug Nick ihm auf.
    Francis machte schon wieder einen Diener und entschwand. Nick sah ihm einen Moment nach.
    »Was für ein hübsches Kind«, bemerkte Susanna Horenbout.
    Nick hatte einen Einfall. »Würdet Ihr ihn malen?«
    Sie hob abwehrend die Hände. »Ich bin aus der Übung, fürchte ich. Und ich habe in der Werkstatt meines Bruder auch nur Miniaturen angefertigt. Eure Mutter war eine Ausnahme, versteht Ihr. Ich bin keine Porträtmalerin.«
    »Ich weiß es besser, Madam«, widersprach er.
    Es wurde ein fröhliches Weihnachtsfest ohne allzu große Förmlichkeiten. Der Prinz erfüllte seine Gastgeberpflichten mit feierlichem Ernst und ging in großer Frömmigkeit zu den Gottesdiensten, aber seine Erzieher drückten ein Auge zu, wenn er die hohe Tafel vorzeitig verließ, um mit den anderen Kindern im verschneiten Garten Verstecken zu spielen.
    Nick war dankbar, dass ihm der Pomp und die steifen Zeremonien eines Weihnachtsfestes bei Hofe erspart geblieben waren, saß meist mit einem gut gefüllten Becher an der Tafel, aß zu viele Pfeffernüsse, sehnte sich nach Janis und vertrieb sich die Zeit damit, ein paar interessante Beobachtungen anzustellen. So war etwa kaum zu übersehen, dass Thomas Seymour, der jüngere der beiden Onkel des Prinzen, Marys neue Hofdame Katherine Parr mit schmachtenden Blicken auf Schritt und Tritt verfolgte. Thomas Seymour stand in dem Ruf, ein Schürzenjäger und Glücksritter der schlimmsten Sorte zu sein – ganz anders als sein pflichterfüllter Bruder Edward, der als Earl of Hertford Cranmers verlässlichste Stütze im Kronrat war. Doch Nick blieb nicht verborgen, dass Thomas Seymours Avancen Lady Katherine nicht unwillkommen waren, sie zumindest amüsierten. Ihr greiser Gemahl, Lord Latimer, sei krank, hatte er gehört. Ohne besonderes Interesse spekulierte Nick darüber, ob Lady Katherines Trauerzeit und Witwenstand wohl von langer Dauer sein würden, wenn Latimer das Zeitliche segnete …
    »Hast du die Absicht, mir auszuweichen, bis du am Tag nach dem Dreikönigsfest wieder heimreitest?«
    Er sah auf. »Lady Waringham.« Er rang sich ein Lächeln ab. »Nimm doch Platz.«
    »Ich habe dir eine Frage gestellt.«
    »Und ich habe dich gebeten, dich zu mir zu setzen, damit nicht die ganze Welt Zeuge der Szene wird, die du mir offenbar zu machen gedenkst«, entgegnete er leise.
    Polly gehorchte mit dieser speziellen Art schweigender Missbilligung, die sie so perfekt beherrschte und die Nick im Handumdrehen wütend machen konnte. Aber er gab dem nicht nach. Er wusste, ihr Vorwurf war berechtigt – er war ihr aus dem Weg gegangen –, und wenn er jetzt schroff zu ihr wäre, müsste er mit einem schlechten Gewissen dafür büßen. »Also? Was gibt es?«
    »Brauche ich einen Anlass, um Anspruch auf ein paar Minuten deiner Zeit zu haben?«, konterte sie.
    »Wenn du Wert auf die Wahrheit legst: Die Antwort lautet Ja. Du und ich hatten einander nie viel zu sagen, Polly. Warum sollen wir vorgeben, es wäre anders?«
    »Das hat dich früher nie davon abgehalten, in mein Bett zu

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