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Der dunkle Thron

Der dunkle Thron

Titel: Der dunkle Thron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
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Stiefmutter. Natürlich hatte er gehört, dass der Earl of Burton gestorben war. Die Nachricht hatte ihm ein vages, unpersönliches Bedauern entlockt, denn Burton war ein entfernter Cousin gewesen. Sumpfhexe hingegen schien der Verlust ihres nunmehr dritten Gemahls tief zu erschüttern, und die Trauer hatte Spuren hinterlassen. Ihr Gesicht war gefurcht und welk, und tiefe Kerben verlängerten die ewig herabgezogenen Mundwinkel Richtung Kinn, aus dem wiederum einzelne schwarze Haare sprossen. Nicht ohne Befriedigung stellte Nick fest, dass ihr Äußeres allmählich ihrem Spitznamen gerecht wurde.
    »Simon, darf ich dich bitten, Schwester Janis herzuholen?«
    Mit unverhohlener Neugier blickte der Priester von Nick zu dessen Stiefmutter. »Ich habe Lady Yolanda bereits erklärt, dass wir derzeit bedauerlicherweise keinen freien Platz haben«, bemerkte er. Man konnte hören, dass sein Bedauern sich in Grenzen hielt. Die Howard und die Neville hatten nie viel füreinander übrig gehabt.
    Simon hatte recht, wusste Nick. Sie konnten eigentlich keine weiteren Schüler aufnehmen. Aber er war entschlossen, dieses verängstigte kleine Mädchen Yolandas Klauen zu entreißen, und es war ihm gleich, wenn er im Bodenstroh schlafen musste, um Platz für sie zu machen …
    »Wärest du trotzdem so gut?«
    Der Priester nickte bereitwillig, ließ Sumpfhexe grußlos stehen und ging hinaus.
    »Keine Manieren, wie alle Neville«, brummte sie krötig. »Oder Waringham«, fügte sie hinzu. »Ich hatte eine weite Reise und bin eine alte Frau. Wie lange soll ich warten, eh du mir einen Sessel anbietest, du Flegel?«
    »Dafür, dass Ihr in Waringham unwillkommen seid, stellt Ihr hohe Ansprüche, Madam«, konterte er, zog aber dennoch einen der bequemen Stühle zurück und schob ihn ihr hin. »Nehmt doch Platz, liebste Stiefmutter.«
    Mit einem missfälligen Brummen ließ sie sich nieder. Wenigstens war sie richtig grantig und übellaunig geworden. Das konnte er besser aushalten als die honigsüße Verstellung von einst, derer sie sich vor allem für seinen Vater befleißigt hatte. Nick war nie sicher gewesen, ob Jasper das durchschaut hatte oder darauf hereingefallen war. Er hatte Laura nach ihrer Meinung gefragt, aber sie wusste es auch nicht. Und heute war es ja auch gleichgültig.
    Nick beugte sich zu dem kleinen Mädchen herab. »Dein Name ist Millicent?«
    Sie nickte. »Millicent Howard, Mylord«, flüsterte sie.
    »Sprich deutlich, Mädchen«, schnauzte Sumpfhexe.
    Millicent zuckte zusammen, und ihre Augen waren voller Furcht. Groß und wasserblau, erinnerten diese Augen Nick lebhaft an die ihrer Cousine, der verkommenen kleinen Königin, die so viel Unglück über das Haus von Waringham gebracht hatte. Aber das war ja nicht Millicents Schuld.
    »Wie alt bist du, Millicent?«, fragte er weiter.
    »Acht, Mylord.«
    »Dann bist du genau im richtigen Alter. Kannst du schon lesen?«
    Sie nickte.
    »Und du möchtest hier auf die Schule gehen?«
    Ihr Blick ergriff vor seinem die Flucht. »Es ist der Wunsch meines Vaters, Mylord.«
    »Verstehe. Und ich fühle mich geehrt, weißt du. Dein Vater ist ein großartiger Dichter.«
    »Ihr kennt ihn?«, fragte sie mit banger Hoffnung.
    Nick schüttelte den Kopf. »Nur seine Verse.« Janis hatte ihm einen Gedichtband geschenkt, und erst nach der Lektüre hatte sie ihm verraten, dass Henry Howard, der Erbe des Duke of Norfolk, der Verfasser war. Nick hatte es kaum glauben können, denn es waren die Verse eines empfindsamen, gebildeten und nachdenklichen Mannes. Lauter Eigenschaften, die er einem Howard nie zugetraut hätte …
    »Großvater sagt, Vaters Gedichte sind alberne Zeitverschwendung«, vertraute sie ihm an.
    Na bitte, da haben wir’s, dachte er amüsiert, doch er antwortete: »Ich glaube, es gibt für alles den rechten Augenblick, auch für Verse. Sie erklären uns die Welt und machen sie schöner.«
    Millicent belohnte dieses Bekenntnis zur Poesie mit einem strahlenden Lächeln, das eine hinreißende Zahnlücke enthüllte.
    Es klopfte, und Janis trat ein. Ihre Miene war höflich, aber distanziert. Es verriet Nick, dass Simon ihr bereits gesagt hatte, wer die furchteinflößende Witwe war.
    Trotzdem sagte Nick: »Schwester, dies ist Lady Yolanda Howard, die Countess of Burton. Madam, Schwester Janis Finley, die die Mädchen auf unserer Schule unterrichtet.«
    Janis knickste formvollendet vor Sumpfhexe.
    Diese betrachtete die junge Frau in dem schlichten dunklen Kleid und mit dem unbedeckten

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