Der dunkle Thron
Mann er war. Er und sein Werk waren … nun ja, ihr Lebensinhalt, könnte man vielleicht sagen. Und ihr Fluch war es, genau zu verstehen, was mit ihm und auch mit ihr geschah, und dennoch machtlos zu sein, das Geringste dagegen zu tun. Von dem Moment an, als sein Kopf fiel, barg der Tod keinen Schrecken mehr für Lady Meg.«
»Woher willst du das so genau wissen?«, fragte Laura.
Er hob kurz die Schultern. »Weil ich dabei war.«
Chapuys betrachtete ihn einen Moment, und sein Blick war voller Mitgefühl. Schließlich sagte er: »Wenn es so ist, dass der Tod keinen Schrecken mehr für sie barg, dann solltet Ihr nicht so erschüttert sein, mein Freund.«
»Das ist wahr«, räumte Nick ein. Was ihn vielleicht am meisten erschütterte, war, dass Lady Meg den gleichen Weg gegangen war wie seine Mutter: König Henrys Verrat hatte ihr Leben wertlos gemacht, und sie hatte die Geburt eines Kindes als willkommene Gelegenheit gewählt, um aus dem Leben zu scheiden. Oder zumindest argwöhnte er das. Aber darüber wollte er nicht sprechen, und deshalb nahm er sich zusammen und rang sich ein Lächeln ab. »Einen Penny für den, der errät, was in dem Beutel war. Chapuys darf nicht mitspielen, denn ich sehe ihm an, dass er es weiß.«
»Stimmt«, räumte der Gesandte ein und ließ sich ein wenig steif in einen der Brokatsessel am Tisch sinken.
»Woher?«, fragte Nick, denn es hörte nie auf, ihn zu faszinieren, was dieser Mann alles herausfand.
»Von Vater Anthony Pargeter und aus den Gerichtsakten des Lord Mayor.«
Janis dachte wieder einmal schneller als alle anderen. »Oh, bei allen Heiligen, Nick … Du willst sagen, sie hat nach der Hinrichtung ihres Vaters seinen Kopf gestohlen? Und ist deswegen vor das Gericht des Lord Mayor zitiert worden? Und sie hat den Kopf all die Jahre … verwahrt?«
»Was sonst sollte sie damit tun? Ihn heimlich nachts auf dem Kirchhof von Chelsea verscharren?« Er öffnete die bestickte Börse an seinem Gürtel, angelte einen glänzenden Penny heraus und reichte ihn ihr. »Hier. Kleine Aufbesserung deines kläglichen Salärs.«
Sie nahm die dünne Münze lächelnd, hielt aber die Hand weiter ausgestreckt. »Gib mir noch fünf. Wir lassen eine Messe für sie und das Kind und Sir Thomas lesen.«
Nick gab ihr das Geld, während Laura, Philipp und John über diesen papistischen Aberglauben die Köpfe schüttelten.
Waringham, September 1544
König Henry erntete allgemein große Bewunderung dafür, dass er trotz seines Alters und seiner schlechten Gesundheit noch einmal in den Krieg gezogen war, und tatsächlich fiel Boulogne, das englische Truppen seit Monaten belagert hatten, ihm Mitte September in die Hände. Böse Zungen behaupteten allerdings, dieses Heldenstück sei nicht dem König zu verdanken, dessen Kampfeinsatz sich darauf beschränkte, in Sichtweite der Stadtmauern in seinem Zelt zu liegen und Mandelpudding in sich hineinzuschaufeln, sondern wohl doch eher den unglaublichen vierzigtausend Soldaten, die er mitgebracht hatte, aber nie und nimmer bezahlen konnte.
»Und vier Tage nach dem Fall von Boulogne haben Kaiser Karl und König François einen Friedensvertrag geschlossen, ob Ihr’s glaubt oder nicht«, grollte Owen, der die Neuigkeiten von einem Besuch in Canterbury mitgebracht hatte. »Ich meine, ist das zu fassen? Da schwört der Kaiser, mit uns zusammen Frankreich zu erobern, und dann kehrt er uns einfach so den Rücken!«
»Nicht einfach so«, widersprach Nick. »Ich denke eher, er fängt an zu ahnen, dass König Henry seine großzügigen finanziellen Zusagen nicht einhalten will. Oder kann.«
»Aber der Kaiser ist doch geradezu unanständig reich mit all seinem Gold«, warf Madog ein.
»Vielleicht ist er auch deswegen so reich, weil er es versteht, sein Gold zusammenzuhalten.« Nick hielt den Blick auf die junge Andalusierstute gerichtet, die er longierte, während die walisischen Brüder in der Spätsommersonne auf dem Zaun saßen und einen Becher Ale teilten.
»Anders als König Henry, meinst du«, argwöhnte der Steward.
Nick sagte weder ja noch nein. »Auf jeden Fall hat Karl offenbar beschlossen, dass es preiswerter ist, Frieden mit Frankreich zu schließen, als den Krieg allein zu bezahlen.«
»Und jetzt steckt König Henry ganz schön in der Klemme«, unkte der Stallmeister. »Er hat Boulogne eingenommen, aber kein Geld, um es zu halten. Obendrein wird Frankreich die Schotten mit neuen Truppen versorgen, jetzt da die Gefahr im eigenen Land gebannt
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