Der dunkle Thron
Janis ermahnte ihn nicht noch einmal. Sie wusste, das war nicht nötig.
Susanna Horenbout bemerkte: »Ich kenne kein anderes Kind, das einen so eigenwilligen Kopf hat und gleichzeitig so folgsam ist. Wie macht Lord Waringham das nur?«
»Es ist ihm in den Schoß gefallen«, antwortete Janis unverblümt. »Francis war vom ersten Tag an so, seit er herkam. Zweifellos das Verdienst seiner Mutter.«
Die Malerin betrachtete sie mit unverhohlener Neugier. »Kennt Ihr seine Mutter, Schwester?«
Janis schüttelte den Kopf. »Es hat sich nie ergeben, weil sie und Eleanor immer im Haushalt des Prinzen oder bei Hofe gelebt haben.«
Sie sprach, als sei das Thema nur von mäßigem Interesse für sie, aber in Wahrheit dachte sie oft über Polly nach. Die Scham darüber, einer anderen Frau den Mann gestohlen zu haben, war ein Schmerz, der sie ständig begleitete. Nicht unerträglich, eher wie das warnende Pochen eines Zahns, der ankündigte, dass er demnächst Kummer zu machen gedenke: leicht zu verdrängen, aber immer da. Natürlich hatte Nick ihr alles über Polly erzählt. Und er hatte sich bemüht, sie davon zu überzeugen, dass er auch dann nicht an der Seite seiner Frau leben würde, wenn er Janis nie begegnet wäre. Er hatte ihr seine Gründe dargelegt. Aber Janis wusste, dass die Geschichte sich aus Pollys Sicht ganz anders anhören würde.
Susanna Horenbout nickte, schien noch etwas sagen zu wollen und überlegte es sich dann anders. Sie wies mit der schmalen Linken auf das Porträt, das die Wand neben dem Bett zierte. »Francis erinnert mich oft an seine Großmutter. Sie war auch so leicht zu lieben. Geistreich und schlagfertig, aber nie grausam. Eine der schönsten Frauen bei Hofe, aber uneitel. Sehr außergewöhnlich.«
»Ich gewinne zunehmend den Eindruck, dass die Waringham eine Schwäche für ungewöhnliche Frauen haben.«
»Wie Ihr eine seid, zum Beispiel?«, fragte Susanna neckend.
Janis sah ohne Hast von ihrer Näharbeit auf. »Ich bin nicht sicher, dass ich verstehe, worauf Ihr anspielt, Madam.«
Die korpulente, so viel ältere Dame lächelte verschmitzt. »Vergebt mir, mein Kind. Ihr tut recht, mich zu rügen und Diskretion zu wahren. Und ich glaube auch nicht, dass einer der beiden Priester in diesem Haus nur den leisesten Verdacht geschöpft hat. Aber ich habe ein Leben an Erfahrung hinter mir, und mir macht Ihr nichts vor.«
Janis nähte weiter und stach sich prompt in den Finger. »Was immer es sein mag, das Ihr denkt, ich kann nur hoffen, dass Eure Diskretion Eurer Lebenserfahrung angemessen ist.«
Susanna Horenbout steckte den Kohlestift an seinen Platz in ihrer Werkzeugtasche, rollte sie zusammen und band sie sorgsam zu. »Normalerweise schon. Aber ich bin jetzt seit einer Woche hier und sehe eine junge Frau vor mir, die von Tag zu Tag von größeren Zweifeln geplagt wird. Ich will nicht in Euch dringen, Schwester. Aber ich erkenne in Euch die, welche ich selbst einmal war, und es bricht mir das Herz, zu denken, dass Ihr all die Fehler machen werdet, die ich auch gemacht habe. Es ist nie leicht für eine Frau, aus den engen Bahnen auszubrechen, die man uns gesteckt hat, egal ob es nun Malen oder Lehren ist, was wir wollen. Der Preis, den wir zu zahlen haben, ist der Verlust von Sicherheit. Denn Sicherheit bieten nur die ausgetretenen Pfade. Mit all dem will ich sagen, Schwester Janis: Wenn Ihr je eine Verbündete braucht, dann könnt Ihr auf mich zählen.«
Das Angebot berührte Janis, und die Vorstellung, eine Verbündete zu haben, war eine große Verlockung. Außer den Mägden war sie die einzige Frau in diesem Haus, und mit Madogs Gemahlin Elena war sie nie über den Austausch höflicher Floskeln hinausgekommen. Sie vermisste Laura. Aber sie zögerte. Susanna Horenbout war eine kluge Frau, die sie bewunderte, aber sie war auch eine Fremde. Und Janis war es nie leichtgefallen, anderen ihr Herz zu öffnen. Noch während sie mit sich rang, wurde schwungvoll die Tür geöffnet, und ein Gentleman, den sie nie zuvor gesehen hatte, trat mit einer Selbstverständlichkeit über die Schwelle, als sei dies seine Burg. »Wo ist Waringham?«, verlangte er zu wissen.
Janis erhob sich und entgegnete streng: »Wer will das wissen?«
»Vergebt mir.« Er verneigte sich hastig. »Jerome Dudley. Ich bin ein alter Freund.«
Janis hatte etwas ganz anderes gehört: Jerome Dudley, wusste sie, war mit Nicks Stiefschwester verheiratet, seine Freundschaft daher äußerst zweifelhaft.
»Ich bedaure, Sir. Lord
Weitere Kostenlose Bücher