Der dunkle Thron
wenn Ihr das nicht wolltet.«
»Werd bloß nicht versöhnlich«, grollte sie, und ihre Stimme knarzte genauso wie die ihres Bruders Norfolk.
»Todsicher nicht, Madam.«
»Du hast deinen Bruder auf dem Gewissen. Vielleicht hast du es vergessen, aber ich nicht.«
Es fühlte sich an, als hätte sie ihm einen Eiszapfen ins Herz gestoßen. Doch er setzte alles daran, sie das nicht merken zu lassen. »Ihr und Norfolk habt ihn zu dem gemacht, was er war, und ihr in die Arme getrieben. Ich habe versäumt, das zu verhindern und ihm zu helfen, sich zu befreien. Auf dem Gewissen hat er sich selbst.«
»Und wo hast du ihn verscharrt, du Ungeheuer?«
Er wandte den Kopf und betrachtete sie. Keine Zornesröte. Keine hervorquellenden Augen. Nur Resignation und Bitterkeit. »Könnt Ihr noch reiten?«, fragte er.
»Allein die Frage ist eine Unverschämtheit.«
Nick reichte ihr wieder den Arm.
Waringham, März 1545
»Halt still, mein Junge«, ermahnte die Malerin. »Nur noch ein paar Minuten, du hast mein Wort. Dreh den Kopf wieder ein wenig nach links, ja, so ist gut. Das Kinn etwas höher. Wunderbar. Und jetzt rühr dich nicht.«
Francis folgte ihren Anweisungen geduldig. Dabei dauerte die Sitzung schon mindestens eine Stunde, und es war kalt im Raum, denn Susanna hatte alle drei Fensterflügel geöffnet, um besseres Licht zu haben. Aber Francis hatte es seinem Vater versprochen: Er werde so lange Modell stehen, wie die Künstlerin brauchte, um ihre Entwurfszeichnungen zu fertigen. Im Gegenzug hatte er seinem Vater die Zusage abgerungen, ihn bei seinem nächsten Besuch mit nach London zu nehmen und ihm die große Kirche von St. Paul zu zeigen, die Brücke, auf der mehr Menschen wohnten als in Waringham, die Krippe und Verschiedenes mehr.
Es werde ein Jahr brauchen, seine Neugier und Schaulust zu befriedigen, hatte Nick säuerlich angemerkt.
Das sei sein Preis, hatte Francis unbeirrt erwidert. Stillstehen falle ihm schwer, doch er sei gewillt, es zu tun, um seinem Vater eine Freude zu machen. Verdiene er im Gegenzug dann nicht, dass auch ihm eine Freude gemacht werde?
Solch bestechender Logik hatte Nick nichts entgegenzusetzen gehabt, und sie waren sich handelseinig geworden. Nur hatte niemand Francis’ Hund gefragt, ob er gewillt sei, mit seinem jungen Herrn zusammen stundenlang Modell zu stehen. Während Francis nun reglos wie ein Findling in der Raummitte verharrte, drehte Maxwell sich einmal um die eigene Achse, setzte sich hin und fing an, sich ausgiebig hinter dem Ohr zu kratzen.
Francis nahm die Hand von seinem Kopf. »Vergebt ihm, Madam«, bat er zerknirscht.
Susanna Horenbout nickte. »Schon gut, Francis. Mit ihm bin ich für heute fertig.« Sie hob den Blick von ihrer Zeichnung, sah mit diesem etwas gruseligen Ausdruck absoluter Konzentration zu ihren Modellen, schaute wieder auf ihre Arbeit und machte mit dem Kohlestift ein paar sachte, aber entschlossene Striche.
Janis beobachtete sie fasziniert. Sie hatte nicht oft Gelegenheit, andere Frauen bei einer Arbeit zu beobachten, die den Intellekt mehr forderte als die Hände, und sie beneidete Susanna Horenbout um ihre Selbstsicherheit. Die Malerin führte den Kohlestift mit Bedacht, aber ohne jedes Zögern. Ohne Zweifel . Janis hingegen zweifelte ständig an allem, was sie tat, an ihren Lehrmethoden, der Auswahl ihrer Lektüre, nicht zuletzt an dem anstößigen Lebensweg, den sie eingeschlagen hatte.
Schließlich ließ Susanna den Stift sinken und legte das Brett, auf dem ihr Skizzenblatt befestigt war, auf den Tisch. »Ihr seid erlöst«, beschied sie.
Francis ließ die Schultern herabfallen und tat einen kleinen Seufzer der Erleichterung. »Dann kann ich gehen?«, vergewisserte er sich.
Sie nickte.
Der Junge verneigte sich höflich vor den Damen und wandte sich zur Tür. »Komm schon, Maxwell.«
»Wo soll’s denn hingehen?«, fragte Janis.
»Gestüt.«
Sie schüttelte den Kopf. »Nicht in diesem Schneetreiben, Francis. Und es ist nur noch eine Stunde bis zur Vesper. Komm nicht wieder zu spät, hörst du.«
»Also ehrlich, Schwester …«, protestierte er.
»Tu ein gutes Werk, geh in die Halle und hilf Millicent bei den Schulaufgaben, was hältst du davon?« Ihr war nicht entgangen, dass Francis eine Schwäche für das Howard-Mädchen entwickelt hatte und seine ritterlichen Tugenden besonders gern an Millicent erprobte.
»Millicents Schulaufgaben statt Ausreiten.« Francis nickte. »Wer könnte da widerstehen?«, fragte er im Hinausgehen. Aber
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