Der dunkle Thron
Constable des Tower ihm erwies.
»Ich werde veranlassen, dass man Euch und den Sarg nach Hause bringt«, erbot sich dieser.
»Danke.«
An der Tür blieb Kingston stehen und sah noch einmal auf den Toten hinab. »Es ist ein Jammer«, sagte er mit echtem Bedauern. »Edelleute wie ihn findet man nicht mehr viele heutzutage.«
»Nein.«
»Ich wünschte, er hätte ihnen gesagt, was sie hören wollten, was immer es war. Sich damit begnügt und getröstet, dass es den Absichten des Königs diente. Was wäre so schwer daran gewesen? Der König und der Kardinal sind Gott näher als wir. Es ist töricht, das eigene Urteil über das ihre zu stellen. Und eitel. Und Sünde!« Mit einem Mal war der Constable wütend.
»Wirklich?«, entgegnete Nick. »Oder ist es vielleicht so, dass der König und der Kardinal sich von Gott entfernt haben und die wahren Edelleute so rar geworden sind, weil sie den Mut haben, das zu erkennen und danach zu handeln?«
Der Constable seufzte tief. »Ich merke, wir werden uns wiedersehen, mein Junge.« Er ging hinaus.
Nick sah ihm einen Moment nach. »Also auf bald, Sir William …«
Waringham, Oktober 1529
»Requiem aeternam dona eis, Domine, et lux perpetua luceat eis …« Vater Ranulf betete mit Inbrunst, und als der Sarg in die Grube hinabgesenkt wurde, hob er das Aspergill und benetzte ihn mit Weihwasser, wenngleich das Holz vom strömenden Regen schon völlig durchnässt war.
Genau wie die Trauergemeinde. Raymond stand mit herabbaumelnden Armen und hängendem Kopf an Nicks Seite und weinte bitterlich, während es unablässig aus seinem Blondschopf tröpfelte. Laura hatte die Arme um Philipps Hals geschlungen, das Gesicht an seine Brust gepresst und weinte ebenfalls. Ihr Mann hatte seinen Mantel um sie beide gewickelt, hielt seine Frau und blickte bekümmert in das Grab hinab. Lady Yolanda und ihre Tochter standen wie schwarze Götzen daneben, völlig reglos. Auch der Witwe rannen Tränen über die Wangen, selbst wenn sie nicht so hemmungslos schluchzte wie Laura und Ray. Louise war bleich, doch sie wohnte der Beerdigung ihres Stiefvaters trockenen Auges bei. Nick konnte ihr nicht einmal einen Vorwurf machen, denn er tat es auch. Er hatte seinen Vater beweint, als er allein mit ihm im Tower gewesen war, hatte geheult und sich die Fäuste an den Mauern des schaurigen Verlieses blutig geschlagen, aber seither erfüllte ihn eine seltsame Taubheit. Er hob Ray auf den Arm in der Hoffnung, der Kleine werde sich beruhigen, denn das Gejammer seines Bruders ging ihm auf die Nerven.
»Dies irae, dies illa solvet saeclum in favilla«, intonierte Vater Ranulf, aber ein Mann in dunklen Kleidern fiel ihm ins Wort: »Ja, er wird kommen, der Tag des Zorns! Der Tag, da Gott den Papst in Rom, all seine Kardinäle und Bischöfe und Pfaffen zur Rechenschaft zieht für ihre Prunksucht, ihre Eitelkeit und Sünde, für den Aberglauben, den sie in der Welt verbreiten, und die Raffgier, mit der sie die Menschen auspressen. An dem Tag wird es voll werden in der Hölle, und weil Gott gerecht ist, wird Kardinal Wolsey der erste sein, der hinabfährt, denn er hat diesen guten Christenmenschen auf dem Gewissen!«
Betretenes Schweigen breitete sich am Grab aus. Vater Ranulf stand völlig verdattert mit seinem Weihrauchfass in der Hand da und schnappte nach Luft, als habe er sich an einem Pflaumenkern verschluckt – offenbar fassungslos über diese unerhörte Frechheit.
Der Frevler bedachte ihn mit einem verächtlichen Blick, trat dann vor Nick und verbeugte sich. »Ich bin gekommen, um Eurem Vater die letzte Ehre zu erweisen, Mylord, und um Euch um Verzeihung zu bitten, dass ausgerechnet meine Schrift als Vorwand genommen wurde, ihn mundtot zu machen.«
»Nicht mundtot, Master Fish«, entgegnete Nick. »Sondern tot. Aber auch wenn es Euch enttäuschen wird, es hatte in Wahrheit gar nichts mit Euch und Euren Schriften zu tun.«
Der berüchtigte Ketzer wich vor dem beißenden Hohn einen Schritt zurück und starrte den jungen Mann mit weit geöffneten Augen an. »Ich … ich bin auf dem Weg zur Küste. Ich verlasse England«, verkündete er ein wenig verlegen.
»Das ist gewiss weise«, gab Nick zurück. »Also geht mit Gott, Sir – soweit das in Eurem Fall noch möglich ist –, aber geht.«
»Mylord«, protestierte Simon Fish. »Ich wollte doch nur …«
»Er hat recht, Fish«, sagte Thomas More streng, der plötzlich an Nicks Seite stand und ihm die Hand auf die Schulter legte. »Ihr entweiht diesen
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