Der dunkle Thron
Abschied. Dies ist weder die Zeit noch der Ort für Eure Tiraden. Also seid klug und setzt Euren Weg zur Küste fort, ehe ich Euch verhaften lasse. Ich habe klar und deutlich gehört, was Ihr über den Lord Chancellor seiner Majestät gesagt habt.«
Simon Fish warf ihm einen trotzigen Blick zu und ignorierte ihn dann. Mit einer knappen Verbeugung vor Nick wandte er sich ab, und ein rundes Dutzend der Fremden, die sich in der Trauergemeinde befanden, folgte ihm. Alles Ketzer, dachte Nick beklommen, alles Vaters Freunde … Einen Moment musste er gegen den verrückten Impuls ankämpfen, sie zurückzurufen. Er wollte sie kennenlernen und mit ihnen sprechen, um von ihnen vielleicht ein wenig über den Unbekannten zu erfahren, der sein Vater gewesen war. Aber er ließ sie ziehen. Wie Sir Thomas gesagt hatte: Dies war weder die Zeit noch der Ort. Mit einer unauffälligen Bewegung befreite er sich von der Hand seines Mentors, die immer noch auf seiner Schulter ruhte, stellte seinen kleinen Bruder wieder auf die Füße und trat dann vor, um die erste Schaufel Erde auf den Sarg fallen zu lassen.
Es war voll gewesen auf dem kleinen Friedhof hinter der Burgkapelle, denn auch aus dem Dorf und vom Gestüt waren die Menschen gekommen, um Lord Waringham die letzte Ehre zu erweisen. Doch nur der Reeve und der Stallmeister waren zum Leichenschmaus gebeten worden, und so war die Tafel überschaubar. Außer den ungeladenen Ketzern waren Sir Thomas More und der Duke of Suffolk die einzigen, die aus London zur Beerdigung gekommen waren.
»Und was hast du nun vor, Nicholas?«, fragte Sir Thomas und lächelte Bessy zerstreut zu, die ihm heißen Wein einschenkte. »Wenn ich hoffen könnte, dass du einwilligst, würde ich dir anbieten, zurück auf die Schule zu kommen. Es gibt noch vieles, das du dort lernen kannst.«
Aber Nick schüttelte den Kopf. »Danke, Sir Thomas. Ich muss hierbleiben und mich um Waringham kümmern. Es wird höchste Zeit, dass das jemand tut.«
Lady Yolanda gab ein leises, vornehmes Hüsteln von sich. »Ein ahnungsloser Bengel wie du? Wehe uns. Was wir hier bräuchten, wäre ein Steward, der weiß, was zu tun ist, um diese Baronie wieder profitabel zu machen.«
Nick schluckte die Antwort herunter, die ihm auf der Zunge lag, denn Sir Thomas sollte nicht sehen, wie schlecht er sich benehmen konnte, wenn er sich dazu entschloss. Später würde noch reichlich Zeit sein, mit Sumpfhexe zu streiten.
Thomas More sah von Nick zu dessen Stiefmutter und wieder zurück und betrachtete den jungen Lord Waringham einen Moment mit diesem geruhsamen Blick, der einem immer das beängstigende Gefühl vermittelte, er dringe bis in die Seele vor. »Nun, die Entscheidung kannst nur du treffen. Aber du sollst wissen, dass du in meinem Haus jederzeit willkommen bist – als Schüler oder Gast.«
Nick war ihm dankbar für diese demonstrative Sympathiebekundung. »Ich weiß Eure Großzügigkeit zu schätzen, Sir Thomas. Aber ich glaube, mein Platz ist jetzt hier.«
Thomas More hob die großen Hände zu einer Geste der Kapitulation. »Ich fürchte, es wird Zeit für uns, Suffolk. Dieser Tage ruht die Arbeit des Kronrats nie. Wir sollten aufbrechen.«
Der Duke of Suffolk nickte. »Reitet nur voraus, Sir Thomas. Ohne Euch zu nahe treten zu wollen, aber ich schätze, wenn ich Euch und Eurer Schindmähre eine Stunde Vorsprung lasse, hole ich Euch dennoch kurz hinter Rochester ein.«
Thomas More schmunzelte nachsichtig, erhob sich und verneigte sich vor Lady Yolanda. »Habt Dank, Madam. Und selbstverständlich gilt auch für Euch: Wenn ich irgendetwas für Euch tun kann, zögert nicht, mir Nachricht zu schicken.«
»Ihr seid sehr gütig, Sir«, antwortete die Witwe. »Aber Raymond, Louise und ich sind ja zum Glück nicht allein auf der Welt. Ich weiß, wenn wir Rat oder Hilfe brauchen, wird mein Bruder, der Duke of Norfolk, sie uns gewähren.«
Ehe dein dämlicher Bruder Norfolk Ray in seine Klauen bekommt, friert die Hölle ein, dachte Nick, aber auch das vertagte er lieber auf später.
»Gewiss, Madam«, erwiderte Thomas More lächelnd. »Dann weiß ich Euch ja in den besten Händen.«
Und das meinte er vermutlich ernst, ahnte Nick, denn Thomas More und der Duke of Norfolk waren Freunde.
Philipp und Laura standen ebenfalls von der Tafel auf. »Erlaubt Ihr, dass wir uns Euch anschließen, Sir Thomas?«, fragte der junge Durham.
Laura hatte Nick am Abend zuvor eröffnet, dass sie jetzt, da ihr Vater nicht mehr da war, nicht länger
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