Der Dunkle Turm 1 - Schwarz
gelassen, als eine Stimme ihn rief: »Du. Junge.«
Es war Marten der Zauberer. Er war mit einer befremdlichen, beunruhigenden Beiläufigkeit gekleidet – schwarze Whipcordhosen, die fast so eng wie ein Trikot waren, und ein weißes Hemd, das bis über die Brust herab aufgeknöpft war. Sein Haar war zerzaust.
Der Junge sah ihn schweigend an.
»Komm herein, komm herein! Steh nicht auf dem Flur herum! Deine Mutter möchte mit dir reden.« Er lächelte mit dem Mund, doch die Furchen seines Gesichts drückten einen tieferen, sardonischen Humor aus. Darunter war nur Kälte.
Aber seine Mutter schien ihn nicht sehen zu wollen. Sie saß im zentralen Salon ihrer Gemächer auf einem Hocker am großen Fenster, aus dem man die heißen, kahlen Pflastersteine des Innenhofes sehen konnte. Sie hatte ein weites, formloses Gewand an und sah den Jungen nur einmal an – ein rasches, glitzerndes und reuevolles Lächeln, wie Herbstsonne auf dem Wasser eines Bachs. Während des restlichen Gesprächs sah sie auf ihre Hände.
Er sah sie nur noch sehr selten, und die Gespenster von Wiegenliedern waren fast völlig aus seinem Gedächtnis verschwunden. Aber sie war eine geliebte Fremde. Er empfand eine formlose Furcht, und geboren wurde ein unversöhnlicher Haß gegenüber Marten, der rechten Hand seines Vaters. (Oder war es umgekehrt?)
Und selbstverständlich hatte es schon immer Klatsch auf den Straßen gegeben – auch wenn er von ganzem Herzen glaubte, er hätte diesen Klatsch nicht gehört.
»Geht es dir gut?« fragte sie ihn sanft und betrachtete ihre Hände. Marten stand neben ihr, seine schwere Hand ruhte beunruhigend nahe der Kreuzung ihrer weißen Schulter mit ihrem weißen Hals, und er lächelte sie beide an. Seine braunen Augen waren beim Lächeln so dunkel, daß sie fast schwarz wirkten.
»Ja«, sagte er.
»Verläuft deine Ausbildung gut?«
»Ich gebe mir Mühe«, sagte er. Sie wußten beide, daß er nicht sprühend intelligent war, so wie Cuthbert, oder auch nur schnell, so wie Jamie. Er war ein Arbeitstier und ein Keulenschwinger.
»Und David?« Sie wußte, daß er in den Falken vernarrt war.
Der Junge sah zu Marten auf, der immer noch väterlich auf alles herablächelte. »Er hat sein bestes Alter hinter sich.«
Seine Mutter schien zusammenzuzucken, einen Augenblick schien Martens Gesicht finsterer zu werden, sein Griff um ihre Schulter fester. Dann sah sie hinaus ins heiße Weiß des Tages, und alles war wieder beim alten.
Das ist eine Scharade, dachte er. Ein Spiel. Aber wer spielt mit wem?
»Du hast eine Narbe auf der Stirn«, sagte Marten, der immer noch lächelte. »Möchtest du ein Kämpfer werden wie dein Vater, oder bist du einfach langsam?«
Dieses Mal zuckte sie zusammen.
»Beides«, sagte der Junge. Er sah Marten unverwandt an und lächelte schmerzvoll. Selbst hier drinnen war es sehr heiß.
Marten hörte plötzlich auf zu lächeln. »Du kannst jetzt auf das Dach gehen. Ich glaube, du hast dort etwas vor.«
Aber Marten hatte ihn mißverstanden, unterschätzt. Sie hatten die Niedersprache gesprochen, eine Parodie des Unformellen. Aber nun donnerte der Junge in der Hochsprache:
»Meine Mutter hat mich noch nicht entlassen, Lehnsmann!«
Marten verzog das Gesicht, als wäre er von einem Peitschenhieb getroffen worden. Der Junge hörte das ängstliche, schmerzliche Stöhnen seiner Mutter. Sie nannte seinen Namen.
Doch das schmerzvolle Lächeln im Gesicht des Jungen blieb, während er einen Schritt vorwärts trat. »Wirst du mir ein Zeichen deiner Ergebenheit geben, Lehnsmann? Im Namen meines Vaters, dem du dienst?«
Marten sah ihn mit ungläubiger Fassungslosigkeit an.
»Geh«, sagte Marten leise. »Geh und bediene dich deiner Hand.«
Der Junge entfernte sich lächelnd.
Als er die Tür geschlossen hatte und in die Richtung zurückging, aus der er gekommen war, hörte er das Wehklagen seiner Mutter. Es war der Ruf einer Banshee.
Dann hörte er Marten lachen.
Der Junge lächelte immer noch, während er zu seiner Prüfung ging. Jamie war von den Marktweibern zurückgekommen, und als er den Jungen sah, der über den Übungsplatz ging, eilte er zu ihm, um Roland den jüngsten Klatsch von Blutvergießen und Aufruhr im Westen mitzuteilen. Doch er blieb stehen, und seine Worte blieben ungesagt. Sie kannten einander seit der Kindheit, und als Jungen hatten sie einander herausgefordert, miteinander gestritten und tausendfach die Mauern erforscht, in denen sie geboren worden waren.
Der Junge stapfte an
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