Der Dunkle Turm 2 - Drei
Das Ziel der Sehnsucht als Bestie zu erringen, wäre nur bitter komisch, als würde man einem Elephanten ein Vergrößerungsglas geben. Aber das Ziel der Sehnsucht als Monster zu erringen…
Mit der Hölle zu bezahlen, ist eines. Aber möchtest du sie besitzen?
Er dachte an Allie und das Mädchen, das einst am Fenster auf ihn gewartet hatte, dachte an die Tränen, die sie über Cuthberts reglosem Leichnam vergossen hatte. Oh, damals hatte er geliebt. Ja. Damals.
Ich möchte lieben! schrie er, doch die Augen des Revolvermanns blieben so trocken wie die Wüste, die er durchquert hatte, um dieses sonnenlose Meer zu erreichen, obwohl Eddie mittlerweile auch ein wenig mit der Frau im Rollstuhl weinte.
5
Er würde Eddies Frage später beantworten. Er würde es tun, weil er dachte, daß Eddie gut daran tat, auf der Hut zu sein. Der Grund, weshalb sie sich nicht erinnerte, war einfach. Sie war nicht eine Frau, sondern zwei.
Und eine davon war gefährlich.
6
Eddie erzählte ihr, was er konnte, er verharmloste die Schießerei ein wenig, aber in allem anderen war er aufrichtig.
Als er fertig war, schwieg sie eine ganz Weile mit im Schoß gefalteten Händen.
Kleine Bächlein ergossen sich von den flacher werdenden Bergen herab und verzweigten sich ein paar Meilen östlich. Von dort hatten Roland und Eddie während ihrer Reise nach Norden ihr Wasser geholt. Zuerst hatte Eddie es geholt, weil Roland zu schwach gewesen war. Später waren sie dann abwechselnd gegangen, und sie hatten immer ein Stück weiter und immer ein wenig länger suchen müssen, um einen Bach zu finden. Je flacher die Berge wurden, desto lustloser wurden sie, aber das Wasser hatte sie nicht krank gemacht.
Bis jetzt.
Gestern war Roland gegangen, und obwohl damit heute Eddie an der Reihe gewesen wäre, war der Revolvermann wieder gegangen, er hatte die Wasserschläuche aus Tierhaut geschultert und war ohne ein Wort davongeschritten. Eddie fand das auf eigentümliche Weise taktvoll. Er wollte sich von dieser Geste nicht rühren lassen – von nichts, was Roland tat – und stellte fest, daß er es dennoch war.
Sie hörte Eddie aufmerksam zu und sagte nichts, ihr Blick hing an ihm. Einmal schätzte Roland, daß sie fünf Jahre älter war als er, im nächsten Augenblick fünfzehn. Bei einem aber stand er über allen Vermutungen: Er war dabei, sich in sie zu verlieben.
Als er fertig war, saß sie einen Augenblick da und sagte gar nichts, und jetzt sah sie ihn nicht an, sondern an ihm vorbei, sah zu den Wellen, denen nach Einbruch der Nacht die Hummer mit ihren fremden, anwaltsmäßigen Fragen entsteigen würden. Sie hatte er ganz besonders sorgfältig beschrieben. Es war besser für sie, wenn sie jetzt ein wenig Angst hatte, als später, wenn sie zum Spielen herauskamen, viel Angst. Er vermutete, sie würde sie nicht essen wollen, nachdem sie erfahren hatte, was sie mit Rolands Hand und Fuß gemacht hatten und nachdem sie sie genau angesehen hatte. Aber letztlich würde der Hunger über did-a-chick und dum-a-chum siegen.
Ihre Augen waren distanziert und verträumt.
»Odetta?« fragte er, nachdem vielleicht fünf Minuten verstrichen waren. Sie hatte ihm ihren Namen gesagt. Odetta Holmes. Er fand, das war ein toller Name.
Sie sah ihn, aus ihrem Nachdenken aufgeschreckt, an. Sie lächelte ein wenig. Sie sagte ein Wort.
»Nein.«
Er sah sie nur an, und ihm fiel keine passende Antwort ein. Er dachte, daß er bis zu diesem Augenblick gar nicht gewußt hatte, wie umfassend eine simple Verneinung sein konnte.
»Ich verstehe nicht«, sagte er schließlich. »Was verneinst du?«
»Dies alles.« Odetta schwang einen Arm (sie hatte, wie ihm aufgefallen war, sehr kräftige Arme – glatt, aber sehr kräftig), deutete auf das Meer, den Himmel, den Strand, die bewaldeten Vorgebirge, wo der Revolvermann momentan wahrscheinlich nach Wasser suchte (oder möglicherweise von einem neuen und interessanten Monster bei lebendigem Leib verspeist wurde, ein Gedanke, den Eddie lieber gar nicht denken wollte), deutete, kurz gesagt, auf die ganze Welt.
»Ich weiß, wie dir zumute ist. Ich hatte anfangs auch ein ordentliches Gefühl des Unwirklichen.«
Aber hatte er das gehabt? Zurückblickend schien es ihm, als hätte er es einfach akzeptiert, möglicherweise weil er krank gewesen war und sich vor Verlangen nach einem Schuß geschüttelt hatte.
»Du wirst darüber hinwegkommen.«
»Nein«, sagte sie wieder. »Ich glaube, es ist eine von zwei
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