Der Dunkle Turm 3 - Tot
der Schule, was das bedeutete: Es war ein Planet, kein Stern. Venus? fragte sie sich. Oder ist das Sonnensystem, zu dem diese Welt gehört, so anders wie alles andere auch?
Wieder überkam sie dieses Gefühl des Unwirklichen – das Gefühl, daß alles ein Traum sein mußte.
»Weiter«, sagte sie. »Was ist passiert, nachdem die Stimme dich vor den Drawers und dem kleinen Jungen gewarnt hat?«
»Ich griff mit der Hand in das Loch, aus dem der Sand gerieselt war, wie man mir beigebracht hatte, sollte mir je so etwas widerfahren. Ich habe einen Kieferknochen herausgezogen… aber nicht den hier. Der Kieferknochen, den ich aus der Mauer des Rasthauses gezogen habe, war viel größer; von einem der Großen Alten, daran habe ich fast keine Zweifel mehr.«
»Was ist damit passiert?« fragte Susannah leise.
»Eines Nachts habe ich ihn dem Jungen gegeben«, sagte Roland. Das Feuer malte orangefarbene Leuchten und Schatten auf seine Wangen. »Als Schutz – als eine Art Talisman. Später war ich der Meinung, er habe seinen Zweck erfüllt, und warf ihn weg.«
»Und wessen Kieferknochen hast du da, Roland?« fragte Eddie.
Roland hielt ihn hoch, betrachtete ihn lang und nachdenklich und ließ ihn wieder sinken. »Später, als Jake… als er gestorben war… habe ich den Mann eingeholt, den ich verfolgt hatte.«
»Walter«, sagte Susannah.
»Ja. Wir haben ein Palaver abgehalten, er und ich… ein langes Palaver. Ich bin eingeschlafen, und als ich erwachte, war Walter tot. Mindestens hundert Jahre tot, wahrscheinlich länger. Nichts war von ihm übrig, außer Knochen, was durchaus angemessen war, denn wir befanden uns an einer Stätte der Knochen.«
»Ja, das scheint echt ein langes Palaver gewesen zu sein«, bemerkte Eddie trocken.
Susannah runzelte gelinde die Stirn darüber, aber Roland nickte nur. »Lang und lang«, sagte er und sah ins Feuer.
»Du bist am Morgen aufgewacht und hast am selben Abend das Westliche Meer erreicht«, sagte Eddie. »Dem Abend, an dem die Monsterhummer gekommen sind, richtig?«
Roland nickte wieder. »Ja. Aber bevor ich den Ort verließ, wo Walter und ich uns unterhalten haben… oder geträumt… oder was auch immer wir gemacht haben… habe ich das vom Schädel seines Skeletts mitgenommen.« Er hob den Knochen hoch, und das orangefarbene Licht spiegelte sich wider auf den Zähnen.
Walters Kieferknochen, dachte Eddie und verspürte ein Schaudern in sich. Der Kieferknochen des Mannes in Schwarz. Denk das nächstemal daran, Eddie-Boy, wenn du wieder glaubst, daß Roland vielleicht nur einer von den netten Jungs ist. Er trägt ihn die ganze Zeit mit sich herum wie eine Art… eine Art Kannibalentrophäe. Herrgott.
»Ich weiß noch, was ich gedacht habe, als ich ihn mitgenommen habe«, sagte Roland. »Ich erinnere mich sehr gut daran; es ist die einzige Erinnerung an diese Zeit, die mich nicht trügt. Ich habe gedacht: ›Es hat Pech gebracht, daß ich weggeworfen habe, was ich gefunden habe, als ich den Jungen fand. Dies ist der Ersatz.‹ Und dann hörte ich Walters Lachen – sein gemeines, wieherndes Lachen. Und ich hörte seine Stimme.«
»Was hat er gesagt?« fragte Susannah.
»›Zu spät, Revolvermann‹«, sagte Roland. »Das hat er gesagt. ›Zu spät – du wirst nur noch Pech haben, von nun an bis in Ewigkeit – das ist dein Ka.‹«
16
»Na gut«, sagte Eddie schließlich. »Ich verstehe das grundsätzliche Paradoxon. Deine Erinnerung ist geteilt…«
»Nicht geteilt. Doppelt.«
»Meinetwegen, das ist fast dasselbe, oder nicht?« Eddie nahm den Zweig und zeichnete ebenfalls etwas in den Sand:
Er deutete auf die Linie links. »Das ist deine Erinnerung an die Zeit, bevor du zu dem Rasthaus gekommen bist – eine einzige Spur.«
»Ja.«
Er deutete auf die Linie rechts. »Und als du auf der anderen Seite der Berge an der Stätte der Knochen herausgekommen bist… wo Walter auf dich gewartet hat. Wieder eine einzige Spur.«
»Ja.«
Jetzt deutete Eddie auf das Mittelstück und zog einen ungefähren Kreis darum.
»Das mußt du machen, Roland – diese doppelte Spur absperren. Eine Blockade in deinem Geist darum errichten und sie dann vergessen. Denn sie bedeutet nichts, sie verändert nichts, sie ist fort, sie ist vorbei… «
»Eben nicht.« Roland hielt den Knochen hoch. »Wenn meine Erinnerungen an den Knaben Jake falsch sind – und ich weiß, daß sie das sind –, wie kann ich dann das hier besitzen? Ich habe den Knochen als Ersatz
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