Der Dunkle Turm 3 - Tot
»Züge können nicht sprechen! Viel weiß ich vielleicht nicht, aber das weiß ich! Ich nehme an, wenn du Charlie bist, kannst du auch selbst deine Pfeife blasen!«
»Gewiß«, sagte die leise, brummige Stimme, und dann gab die Pfeife ihr lautes Heulen von sich, das über die Ebenen von Missouri schallte: HUUUU-UUUU!
»Liebe Güte!« sagte Lokführer Bob. »Du bist es wirklich!«
» Hab’ ich doch gesagt«, antwortete Charlie Tschuff-Tschuff. »Wie kommt es, daß ich vorher nicht gewußt habe, daß du lebst?« fragte Lokführer Bob. »Warum hast du früher nie mit mir gesprochen?« Da sang Charlie dem Lokführer Bob mit seiner leisen, brummigen Stimme sein Lied vor.
Laß mich in Ruh, ich hab’ genug
Von deinen dummen Fragen,
Ich bin nur ein einfacher Tschuff-tschuff-Zug,
Mehr kann ich dir nicht sagen.
Ich möchte einfach nur sausen,
Das ist mir ein Hochgenuß,
Und als glücklicher Tschuff-tschuff-Zug brausen,
Bis ich einst sterben muß.
»Möchtest du wieder mit mir sprechen, wenn wir unsere Strecke fahren?« fragte Lokführer Bob. »Das würde mir gefallen.«
»Mir auch«, sagte Charlie. »Ich mag dich, Lokführer Bob.«
»Ich mag dich auch, Charlie«, sagte Lokführer Bob, und dann ließ er selbst die Pfeife erklingen, um zu zeigen, wie glücklich er war. HUUUU-UUUU! Es war das längste und lauteste Heulen, das Charlie jemals von sich gegeben hatte, und alle, die es hörten, kamen aus den Häusern, um nachzusehen.
Das Bild auf dieser Seite glich dem auf dem Umschlag. Auf den vorherigen Bildern (skizzenhaften Bildern, die Jake an sein Lieblingskinderbuch erinnerten, Mike Mulligan und sein Dampfbagger) war die Lokomotive nur eine Lokomotive gewesen – bunt und zweifellos interessant für die Jungs der fünfziger Jahre, die das Zielpublikum für dieses Buch gewesen waren, aber dennoch nur eine Maschine. Auf diesem Bild jedoch hatte sie eindeutig menschliche Züge, und das rief ein heftiges Frösteln bei Jake hervor, obwohl Charlie lächelte und die Geschichte so übertrieben niedlich war.
Er traute diesem Lächeln nicht.
Er schlug seinen Abschlußaufsatz auf und überflog die Zeilen. Blaine könnte gefährlich sein, las er. Ich weiß nicht, ob das die Wahrheit ist oder nicht.
Er schlug den Ordner zu, klopfte einen Moment nachdenklich mit den Fingern darauf, dann wandte er sich wieder Charlie Tschuff-Tschuff zu.
Lokführer Bob und Charlie verbrachten viele glückliche Tage zusammen und redeten über vieles. Lokführer Bob lebte allein, und Charlie war der erste richtige Freund, den er hatte, seit seine Frau vor
langer Zeit in New York gestorben war.
Dann kehrten Charlie und Lokführer Bob eines Tages ins Depot von St. Louis zurück und fanden eine neue Diesellokomotive auf Charlies Abstellplatz. Und was für eine Diesellokomotive das war! 5000 Pferdestärken! Edelstahlkoppler! Zugmaschinen vom Maschinenwerk in Utica, New York! Und oben, direkt hinter dem Generator, befanden sich drei große Kühlventilatoren. »Was ist das?« fragte Lokführer Bob mit besorgter Stimme, aber Charlie sang nur mit seiner leisesten, brummigsten Stimme sein Lied:
Laß mich in Ruh, ich hab genug
Von deinen dummen Fragen,
Ich bin nur ein einfacher Tschuff-tschuff-Zug,
Mehr kann ich dir nicht sagen.
Ich möchte einfach nur sausen,
Das ist mir ein Hochgenuß,
Und als glücklicher Tschuff-tschuff-Zug brausen,
Bis ich einst sterben muß.
Mr. Briggs, der Depotverwalter, kam herüber. »Das ist eine wunderschöne Diesellokomotive«, sagte Lokführer Bob, »aber Sie müssen Sie von Charlies Stellplatz entfernen, Mr. Briggs. Charlie muß noch heute nachmittag abgeschmiert werden.«
»Charlie muß überhaupt nie mehr abgeschmiert werden, Lokführer Bob«, sagte Mr. Briggs traurig. »Das ist sein Nachfolger – eine brandneue Burlington-Zephyr-Diesellok. Früher war Charlie einmal die beste Lokomotive auf der ganzen Welt, aber jetzt ist er alt, und sein Boiler hat ein Leck. Ich fürchte, die Zeit ist gekommen, daß Charlie in den Ruhestand geht.«
»Unsinn!« Lokführer Bob war wütend! »Charlie ist immer noch voll Zack und Heißassa. Ich werde dem Vorstand der Eisenbahngesellschaft von Mittwelt telegrafieren, Mr. Raymond Martin höchstpersönlich! Ich kenne ihn, weil er mir einmal einen Orden für hervorragende Dienste verliehen hat, und hinterher sind Charlie und ich mit seiner kleinen Tochter spazierengefahren. Ich habe sie an der Zugschnur ziehen lassen, und Charlie hat, so laut
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