Der Dunkle Turm 4 - Glas
etwa zwei Uhr fort (unter Johlen und Beleidigungen und ein paar fliegenden Biergläsern hinausgejagt worden, so wie immer; zumal Roy Depape verspürte keinerlei Zuneigung zu diesem speziellen Burschen). Gegen neun oder so würde er wiederkommen und den alten Amüsierpalast für eine weitere ausgelassene Nacht vorbereiten, aber bis dahin hatte der Mann, der an Mistress Thorins Tisch saß, das Lokal ganz für sich allein.
Vor ihm lag eine Patience: Schwarz auf Rot, Rot auf Schwarz, und über allem die bereits abgelegten Karten, genau wie es in den Angelegenheiten der Menschen sein sollte. In der linken Hand hielt der Spieler den Rest des Blatts. Wenn er die Karten eine nach der anderen umdrehte, bewegte sich die Tätowierung auf seiner rechten Hand. Es sah irgendwie beunruhigend aus, so als würde der Sarg atmen. Der Kartenspieler war ein älterer Herr, nicht so dünn wie der Bürgermeister und dessen Schwester, aber dennoch dünn. Sein langes, weißes Haar fiel ihm auf den Rücken. Er war braungebrannt, außer am Hals, wo er immer einen Sonnenbrand bekam; die Haut dort hing in Lappen herab. Sein Schnurrbart war so lang, dass die zerfransten weißen Enden fast bis zum Kinn hinabhingen – ein falscher Revolvermannschnurrbart, dachten viele, aber niemand hätte Eldred Jonas das Wort »falsch« ins Gesicht gesagt. Er trug ein weißes Seidenhemd, ein Revolver mit schwarzem Griff hing tief an seiner Hüfte. Seine großen, rot geränderten Augen wirkten auf den ersten Blick traurig. Ein zweiter, gründlicherer Blick zeigte, dass sie lediglich wässrig waren. Abgesehen davon blickten sie so emotionslos drein wie die Augen des Wildfangs.
Er drehte das Kreuz-Ass um. Kein Platz dafür. »Pah, du Miststück«, sagte er mit einer seltsam quäkenden Stimme. Sie zitterte obendrein wie die Stimme eines Mannes, der gleich in Tränen ausbrechen würde. Sie passte perfekt zu seinen feuchten, rot geränderten Augen. Er strich die Karten zusammen.
Bevor er neu mischen konnte, ging oben leise eine Tür auf und wieder zu. Jonas legte die Karten beiseite und die Hand auf den Revolvergriff. Als er hörte, dass es nur Reynolds war, der da in seinen Stiefeln die Galerie entlanggeschritten kam, ließ er die Waffe los und zog stattdessen den Tabaksbeutel vom Gürtel. Der Saum des Mantels, den Reynolds immer trug, kam in Sicht, und dann kam er selbst die Treppe herunter – mit frisch gewaschenem Gesicht und seinem roten Lockenhaar, das ihm über die Ohren hing. Bildete sich viel auf sein gutes Aussehen ein, der liebe alte Mr. Reynolds, aber warum auch nicht? Er hatte seinen Schwanz auf Erkundung in mehr feuchte und warme Spalten hineingeschoben, als Jonas je in seinem Leben gesehen hatte, und dabei war Jonas doppelt so alt.
Am unteren Ende der Treppe angelangt, ging Reynolds am Tresen entlang, blieb kurz stehen, um einen der plumpen Oberschenkel von Pettie zu drücken, und kam dann herüber zu dem Tisch, wo Jonas mit seinem Gewinn und seinem Kartenspiel saß.
»Abend, Eldred.«
»Morgen, Clay.« Jonas machte den Beutel auf, holte ein Blättchen heraus und krümelte Tabak darauf. Seine Stimme zitterte, aber seine Hände waren ruhig. »Möchtest du eine mitrauchen?«
»Könnte eine vertragen.«
Reynolds zog einen Stuhl heran, drehte ihn um, setzte sich und verschränkte die Arme auf der Lehne. Als Jonas ihm die Zigarette gab, ließ Reynolds sie über die Finger tanzen, ein alter Revolvermanntrick. Die Großen Sargjäger kannten eine Menge alte Revolvermanntricks.
»Wo ist Roy? Bei Ihrer Hochtrabendheit?« Sie waren jetzt etwas über einen Monat in Hambry, und in dieser Zeit hatte Depape eine Leidenschaft für eine fünfzehnjährige Hure namens Deborah entwickelt. Ihr o-beiniger, stapfender Gang und ihre Art, mit zusammengekniffenen Augen in die Ferne zu schauen, weckten in Jonas den Verdacht, dass sie ein Cowgirl aus einer langen Reihe von Cowgirls war, wenngleich sie eine hochnäsige Art an sich hatte. Clay hatte angefangen, das Mädchen Ihre Hochtrabendheit zu nennen, Ihre Majestät oder manchmal (wenn er betrunken war) »Roys Krönungsfotze«.
Jetzt nickte Reynolds. »Es ist, als wäre er berauscht von ihr.«
»Der kommt schon wieder zu sich. Er wird uns nicht auffliegen lassen wegen einem kleinen Betthäschen mit Pickeln auf den Titten. Mann, die ist so dumm, dass sie Katze nicht buchstabieren kann. Nicht einmal Katze, nein. Ich hab sie gefragt.«
Jonas drehte eine zweite Zigarette, holte ein Schwefelholz aus dem Beutel und riss es
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