Der Dunkle Turm 4 - Glas
fragte sie gerührt.
»Außerdem hat er einen Wachposten! Das ist ein Vogelkopf! Und wenn er mit ihm redet, tut-so-als-ob, lache ich dann? Aye, laut und deutlich!«
Sie drehte sich wieder um und vergewisserte sich, dass niemand sie beobachtete (abgesehen von den geschnitzten Totems auf der anderen Straßenseite), dann holte sie den zusammengelegten Zettel aus der Jeanstasche.
»Würdest du das Mr. Dearborn von mir geben? Er ist auch dein Freund, oder nicht?«
»Will? Aye!« Er nahm die Nachricht und steckte sie sich sorgfältig in die Tasche.
»Und erzähl es keinem.«
»Pssst!«, stimmte er zu und legte einen Finger an die Lippen. Seine Augen unter dem lächerlichen rosa Damenhut, den er trug, waren auf ergötzliche Weise rund gewesen. »Wie als ich Ihnen die Blumen gebracht habe. Pschtpschtpscht!«
»Ganz recht, Pschtpschtpscht. Gehab dich wohl, Sheemie.«
»Und Ihr auch, Susan Delgado.«
Er wandte sich wieder seinen Reinigungsaufgaben zu. Susan beobachtete ihn noch eine Weile und fühlte sich unbehaglich und unsicher. Jetzt, wo sie den Zettel glücklich übergeben hatte, verspürte sie den Wunsch, Sheemie zu bitten, ihn ihr zurückzugeben, damit sie durchstreichen konnte, was sie geschrieben hatte, um stattdessen ein Treffen mit ihm zu vereinbaren. Und sei es nur, um noch einmal seine gelassenen blauen Augen zu sehen, wie sie ihr ins Gesicht blickten.
Auf einmal kam Jonas’ anderer Freund, der mit dem weiten Mantel, aus dem Gemischtwarenladen gelaufen. Sie war sich sicher, dass er sie nicht gesehen hatte – er hielt den Kopf gesenkt und drehte sich eine Zigarette –, aber sie hatte nicht die Absicht, das Schicksal zu versuchen. Reynolds redete mit Jonas, und Jonas redete – allzu oft! – mit Tante Cord. Wenn Tante Cord hörte, dass sie mit dem Jungen gesehen worden war, der ihr die Blumen gebracht hatte, würde sie Fragen stellen. Fragen, die Susan nicht beantworten wollte.
6
Das alles ist Vergangenheit, Susan – Schnee von gestern. Es wäre am besten, wenn du mit deinen Gedanken wieder in die Gegenwart zurückkehrtest.
Sie ließ Pylon halten und sah die Länge der Schräge hinunter zu den Pferden, die dort grasten und herumtollten. Eine überraschend große Zahl heute Morgen.
Es ging nicht. Ihre Gedanken kehrten immer wieder zu Will Dearborn zurück.
Was für ein Pech sie gehabt hatte, ihn zu treffen! Ohne diese zufällige Begegnung auf dem Rückweg vom Cöos hätte sie inzwischen wahrscheinlich ihren Frieden mit der Lage gemacht, in der sie sich befand – schließlich war sie ein praktisch veranlagtes Mädchen, und ein Versprechen war ein Versprechen. Sie hätte sich nie träumen lassen, dass sie sich so zimperlich anstellen würde, wenn es um den Verlust ihrer Jungfräulichkeit ging, und die Aussicht, ein Kind zu empfangen und auszutragen, versetzte sie eigentlich sogar in Aufregung.
Aber Will Dearborn hatte alles verändert; hatte sich in ihrem Kopf eingenistet und hauste nun dort, ein Untermieter, der sich nicht mehr hinauswerfen ließ. Seine Bemerkung beim Tanzen blieb ihr erhalten wie eine Melodie, die man immer wieder summen musste, auch wenn man sie zutiefst verabscheute. Sie war grausam und auf dumme Weise selbstgerecht gewesen, diese Bemerkung… aber enthielt sie nicht auch ein Körnchen Wahrheit? Rhea hatte Recht gehabt, was Hart Thorin betraf, daran hegte Susan längst keinen Zweifel mehr. Sie vermutete, dass Hexen immer Recht hatten, sobald es um die Lust der Männer ging, auch wenn sie sich in allem anderen irrten. Kein glücklicher Gedanke, aber höchstwahrscheinlich ein wahrer.
Es war Will-der-Teufel-soll-dich-holen-Dearborn, der es ihr so schwer gemacht hatte, zu akzeptieren, was akzeptiert werden musste, der sie zu Auseinandersetzungen angestiftet hatte, bei denen sie ihre schrille und verzweifelte Stimme kaum wiedererkannte, der sie in ihren Träumen aufsuchte – in Träumen, wo er die Arme um ihre Taille legte und sie küsste, küsste, küsste.
Sie stieg ab und ging ein Stück bergab, während sie die Zügel locker in der Hand hielt. Pylon folgte ihr bereitwillig, und als sie stehen blieb, um in den blauen Dunst im Südwesten zu sehen, senkte er den Kopf und fing an zu grasen.
Sie dachte, dass sie Will Dearborn noch einmal sehen musste, und sei es nur, um sich eine Gelegenheit zu verschaffen, wieder zu Verstand zu kommen. Sie musste ihn in seiner richtigen Größe sehen, und nicht in jener, die er in ihren warmen Gedanken und noch wärmeren Träumen
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