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Der Dunkle Turm 4 - Glas

Titel: Der Dunkle Turm 4 - Glas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: King Stephen
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gelegt und ihn geküsst?
    Ihre Wangen und Stirn brannten beim Gedanken daran, und ein weiterer heißer Ring schien an ihr hinabzugleiten. Sie war sich nicht sicher, ob sie den Kuss bedauerte, aber er war ein Fehler gewesen, Bedauern hin oder her. Ihn jetzt wiederzusehen würde alles nur noch schlimmer machen.
    Und doch wollte sie ihn wiedersehen und wusste im Grunde ihres Herzens, dass sie bereit war, die Wut auf ihn zu vergessen. Aber sie hatte ein Versprechen gegeben.
    Dieses vermaledeite Versprechen.
    In jener Nacht lag sie schlaflos in ihrem Bett, warf sich unruhig hin und her und dachte, dass es besser wäre, würdevoller, einfach zu schweigen, doch dann entwarf sie im Geiste dennoch Antwortbriefe – manche schroff, manche kalt, manche mit einem flirtenden Unterton.
    Als sie die Mitternachtsglocke hörte, die den alten Tag verabschiedete und den neuen begrüßte, entschied sie, dass es reichte. Sie war aus dem Bett gestiegen, zur Tür gegangen, hatte sie aufgestoßen und den Kopf auf den Flur hinausgestreckt. Als sie Tante Cords flötengleiches Schnarchen hörte, hatte sie die Tür wieder zugemacht, war zu ihrem kleinen Schreibtisch am Fenster gegangen und hatte die Lampe angezündet. Sie nahm ein Blatt Pergamentpapier aus der obersten Schublade, riss es entzwei (in Hambry gab es nur ein schlimmeres Verbrechen als Papierverschwendung, nämlich die Verschwendung von Zuchtvieh mit guter Erblinie), und dann schrieb sie hastig, weil sie spürte, dass das geringste Zögern sie zu weiteren Stunden der Unentschlossenheit verdammen würde. Ohne Anrede und Unterschrift dauerte es nur einen Atemzug, ihre Antwort niederzuschreiben:
     
    Ich kann dich nicht sehen! Es wäre nicht schicklich .
     
    Sie hatte den Zettel zusammengefaltet, ihre Lampe ausgeblasen, war wieder ins Bett gegangen und hatte den Zettel unter ihr Kopfkissen gelegt. Innerhalb von zwei Minuten war sie eingeschlafen. Am folgenden Tag, als das Einkaufen auf dem Markt sie in die Stadt führte, war sie zum Traveller’s Rest gegangen, das morgens um elf den Charme von etwas besaß, was am Straßenrand eines schrecklichen Todes gestorben war.
    Der Vorplatz des Saloons bestand aus gestampfter Erde und wurde von einem langen Querholz mit einem Wassertrog darunter geteilt. Sheemie fuhr mit einer Schubkarre an dem Querholz entlang und sammelte mit einer Schaufel die Pferdeäpfel der vergangenen Nacht auf. Er trug eine komische rosa sombrera und sang »Golden Slippers«. Susan bezweifelte, dass viele Gäste des Traveller’s Rest heute Morgen aufwachen und sich so wohl fühlen würden, wie Sheemie es offensichtlich tat… Wer also, wenn man es recht überlegte, waren hier die eigentlichen Schwachköpfe?
    Sie sah sich um und vergewisserte sich, dass niemand sie beobachtete, dann ging sie zu Sheemie und klopfte ihm auf die Schulter. Zuerst sah er ängstlich drein, und Susan konnte es ihm nicht verdenken – wenn man den Gerüchten Glauben schenken durfte, hatte Jonas’ Freund Depape den armen Jungen fast umgebracht, nur weil dieser ihm ein Getränk auf die Stiefel geschüttet hatte.
    Dann erkannte Sheemie sie. »Hallo, Susan Delgado von da draußen am Stadtrand«, sagte er freundschaftlich. »Einen guten Tag wünsche ich Euch, Sai.«
    Er verbeugte sich – eine amüsante Imitation der Verbeugung der Inneren Baronien, wie seine drei neuen Freunde sie bevorzugten. Sie antwortete lächelnd mit einem Hofknicks (da sie Jeans trug, musste sie so tun, als würde sie einen Rock heben, aber die Frauen in Mejis hatten sich an Hofknickse mit nicht vorhandenen Röcken gewöhnt).
    »Seht Ihr meine Blumen, Sai?«, fragte er und zeigte zur ungestrichenen Seitenwand des Saloons. Was sie da sah, rührte sie zutiefst: eine Reihe abwechselnd blauer und weißer Samtblumen wuchsen entlang der Hauswand. Sie sahen tapfer und bemitleidenswert zugleich aus, wie sie sich in der schwachen Morgenbrise wiegten, vor ihnen der kahle, kotbedeckte Hof und die Kneipe mit ihren gesplitterten Brettern hinter ihnen.
    »Hast du die gepflanzt, Sheemie?«
    »Aye, das habe ich. Und Mr. Arthur Heath aus Gilead hat mir gelbe versprochen.«
    »Ich habe noch nie gelbe Samtblumen gesehen.«
    »Neini-nein, ich auch nicht, aber Mr. Arthur Heath sagt, in Gilead gibt es sie.« Er sah Susan ernst an und hielt dabei die Schaufel in einer Hand wie ein Soldat, der ein Gewehr oder eine Lanze präsentierte. »Mr. Arthur Heath hat mir das Leben gerettet. Ich würde alles für ihn tun.«
    »Tatsächlich, Sheemie?«,

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