Der Dunkle Turm 4 - Glas
Kartenspieler fiel mit einem lauten Krachen um, als diese aufsprangen. Reynolds hatte seinen Revolver gezogen.
»Nay«, sagte sie mit einer bebenden Stimme, die sie selbst kaum wiedererkannte. Ihre Augäpfel pulsierten, ihr Herzschlag raste. Man konnte vor Angst sterben, das war ihr jetzt klar. »Nay, meine Herren, es ist alles gut.«
Die sechsbeinige Missgeburt auf der Theke machte das Maul auf, fletschte die spitzen Fangzähne und fauchte wieder.
Coral bückte sich (und als sie den Kopf unterhalb der Beuge hatte, war ihr wieder, als ob er gleich explodieren würde), hob die Flasche auf, stellte fest, dass sie noch zu einem Viertel voll war, und setzte sie an den Mund, ohne sich darum zu kümmern, wer sie dabei sah und was sie dachten.
Als hätte er ihre Gedanken gehört, fauchte Musty wieder. Er trug heute Nachmittag ein rotes Halstuch – was an ihm eher abscheulich als fröhlich aussah. Ein weißes Stück Papier war darunter gesteckt worden.
»Soll ich sie erschießen?«, sagte jemand mit schleppender Stimme. »Ich werde es tun, wenn Sie möchten. Ein Schuss, und es wird nichts außer Krallen übrig sein.« Es war Jonas, der auf einmal vor der Schwingtür stand, und obwohl er kaum besser aussah, als sie sich fühlte, hegte Coral keine Zweifel, dass er es schaffen würde.
»Nay. Die alte Schlampe würde uns alle in Heuschrecken oder etwas Vergleichbares verwandeln, wenn wir ihren Vertrauten töten würden.«
»Welche Schlampe?«, fragte Jonas und durchquerte den Raum.
»Rhea Dubativo. Rhea vom Cöos, wie sie genannt wird.«
»Aha! Nicht die Schlampe, sondern die Hexe.«
»Sie ist beides.«
Jonas streichelte der Katze den Rücken. Sie ließ sich kraulen, krümmte sogar den Rücken gegen seine Hand, aber er strich ihr nur einmal darüber. Das Fell fühlte sich unangenehm feucht an.
»Würden Sie eventuell mit mir teilen?«, fragte er und nickte zur Flasche. »Es ist noch früh, aber mein Bein tut weh wie ein Teufel, der die Sünde satt hat.«
»Ihr Bein, mein Kopf, früh oder spät. Auf Kosten des Hauses.«
Jonas zog die weißen Brauen hoch.
»Schätzt Euch glücklich und greift zu, mein Freund.«
Sie streckte die Hand nach Musty aus. Der Kater zischte wieder, ließ sie aber den Zettel unter seinem Halstuch hervorziehen. Sie klappte ihn auf und las die sieben Wörter, die darauf standen:
»Darf ich sehen?«, fragte Jonas. Der erste Schluck wärmte ihm den Bauch, und die Welt sah schon besser aus.
»Warum nicht?« Sie gab ihm die Nachricht. Jonas las sie und gab sie ihr dann zurück. Er hätte Rhea beinahe vergessen, und das wäre gar nicht gut gewesen. Ach, es war einfach schwer, immer an alles denken zu müssen. In letzter Zeit kam sich Jonas nicht so sehr wie ein gedungener Revolverheld vor, sondern eher wie ein Koch, der alle neun Gänge eines Staatsbanketts gleichzeitig auf den Tisch zu bringen versuchte. Glücklicherweise hatte sich ihm die alte Vettel selbst ins Gedächtnis zurückgerufen. Gott segne ihren Durst. Und seinen eigenen, da er ihn rechtzeitig hierher geführt hatte.
»Sheemie!«, brüllte Coral. Sie konnte die Wirkung des Whiskeys ebenfalls spüren; sie fühlte sich fast wieder wie ein Mensch. Sie fragte sich sogar, ob Eldred Jonas nicht an einem stürmischen Abend mit der Schwester des Bürgermeisters interessiert sein könnte… Wer konnte schon wissen, was einem alles helfen konnte, sich die Stunden zu vertreiben?
Sheemie kam zur Schwingtür herein; seine Hände waren schmutzig, seine rosa sombrera baumelte am Ende ihrer cuerda auf dem Rücken. »Aye, Coral Thorin! Hier ich bin!«
Sie sah an ihm vorbei und betrachtete prüfend den Himmel. Nicht heute, nicht einmal für Rhea; sie würde Sheemie nicht im Dunkeln dort hinauf schicken, und damit war das vom Tisch.
»Nichts«, sagte sie mit einer Stimme, die sanfter als gewöhnlich klang. »Geh zurück zu deinen Blumen, und sieh zu, dass du sie gut abdeckst. Es wird Frost geben.«
Sie drehte Rheas Zettel um und kritzelte ein einziges Wort darauf:
Sie faltete den Zettel zusammen und gab ihn Jonas. »Steckt Ihr ihn bitte für mich unter das Halsband dieses stinkenden Viehs, ja? Ich will es nicht anfassen.«
Jonas kam ihrer Bitte nach. Die Katze sah die beiden mit einem letzten wilden grünen Blick an, dann sprang sie vom Tresen und verschwand unter der Schwingtür.
»Die Zeit wird knapp«, sagte Coral. Sie hatte nicht die geringste Ahnung, was sie damit meinte, aber Jonas nickte, als verstünde er voll und
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