Der Dunkle Turm 4 - Glas
in seinen Schoß.
Roland hob es auf und spürte, wie die scharfe Kante seiner Wut stumpf wurde. »Was ist das?«
»Mach es auf und sieh selbst. Das Sternenlicht reicht aus, um es lesen zu können.«
Langsam, mit widerwilligen Fingern faltete Roland das Stück Papier auseinander und las, was darauf geschrieben stand:
Er las es zweimal. Das zweite Mal fiel es ihm schwerer, weil seine Hände angefangen hatten zu zittern. Er sah alle Orte, wo er und Susan sich getroffen hatten, vor sich – das Bootshaus, die Hütte, den Schuppen –, aber jetzt sah er sie in einem neuen Licht, weil er wusste, dass noch jemand sie gesehen hatte. Für wie schlau hatte er sich und Susan doch gehalten! Wie sicher ihrer Geheimnisse und ihrer Diskretion. Und dennoch hatte die ganze Zeit jemand zugesehen. Susan hatte Recht gehabt. Jemand hatte sie gesehen.
Ich habe alles in Gefahr gebracht. Ihr Leben ebenso wie das unsere.
Erzähl ihm, was ich über das Tor zur Hölle gesagt habe.
Und auch Susans Stimme: Ka ist wie der Wind… Wenn du mich liebst, dann liebe mich.
Das hatte er getan, und in seiner jugendlichen Arroganz geglaubt, dass alles einzig und allein aus dem Grund gut werden müsse – ja, genau das hatte er geglaubt –, weil er schließlich er war und das Ka seiner Liebe dienen musste.
»Ich war ein Narr«, sagte er. Seine Stimme zitterte so sehr wie seine Hände.
»Ja, wahrhaftig«, sagte Cuthbert. »Das warst du.« Er ließ sich im Staub auf die Knie sinken und sah Roland an. »Wenn du mich jetzt noch schlagen willst, dann schlag zu. So fest du willst und so oft du kannst. Ich werde nicht zurückschlagen. Ich habe getan, was ich konnte, damit du deiner Verantwortung wieder bewusst wirst. Wenn du immer noch schläfst, dann sei es so. Wie auch immer, auch ich habe dich noch sehr gern.« Bert legte Roland die Hände auf die Schultern und küsste kurz die Wange seines Freundes.
Roland fing an zu weinen. Es waren zum Teil Tränen der Dankbarkeit, aber zum größten Teil welche der Scham und Verwirrung; es existierte sogar ein kleiner, dunkler Teil in ihm, der Cuthbert nun hasste und für immer hassen würde. Dieser Teil hasste Cuthbert mehr wegen des Kusses als wegen des unerwarteten Kinnhakens; mehr für die Vergebung als für das Wecken.
Er stand auf, hielt den Brief immer noch in der staubigen Hand und strich sich mit der anderen wirkungslos über die Wangen, sodass feuchte Schlieren zurückblieben. Als er stolperte und Cuthbert eine Hand ausstreckte, um ihn zu stützen, stieß Roland ihn so heftig weg, dass Cuthbert selbst gefallen wäre, wenn Alain ihn nicht an den Schultern gehalten hätte.
Dann ließ sich Roland langsam wieder sinken – diesmal vor Cuthbert, mit erhobenen Händen und gesenktem Kopf.
»Roland, nein!«, rief Cuthbert.
»Doch«, sagte Roland. »Ich habe das Angesicht meines Vaters vergessen und erflehe deine Verzeihung.«
»Ja, schon gut, um der Götter willen, ja!« Jetzt hörte sich Cuthbert an, als würde er selbst weinen. »Nur… bitte steh auf! Es bricht mir das Herz, dich so zu sehen!«
Und meines, so dazuliegen, dachte Roland. So gedemütigt zu werden. Aber ich habe es mir selbst zuzuschreiben, oder nicht? Diesen dunklen Hof, mit Kopfschmerzen und einem Herzen voll Scham und Furcht. Das gehört alles mir, ich habe es nicht anders gewollt.
Sie halfen ihm auf, und Roland ließ sich diesmal auch helfen. »Eine ganz ordentliche Linke, Bert«, sagte er mit einer Stimme, die halbwegs als normal durchgehen konnte.
»Nur wenn sie jemanden trifft, der nicht weiß, dass sie kommt«, antwortete Cuthbert.
»Dieser Brief – wie bist du an den gekommen?«
Cuthbert erzählte von seinem Zusammentreffen mit Sheemie, der in seinem Elend dahingeschlurft war, als hätte er darauf gewartet, dass das Ka eingriff… was das Ka auch in Gestalt von »Arthur Heath« getan habe.
»Von der Hexe«, überlegte Roland. »Ja, aber woher hat sie es gewusst? Die verlässt nie den Cöos, das hat Susan mir gesagt.«
»Das kann ich nicht sagen. Und es interessiert mich auch nicht besonders. Im Augenblick interessiert mich am meisten, dass Sheemie nichts geschieht, weil er es mir erzählt und mir den Zettel gegeben hat. Danach interessiert mich, dass diese alte Hexe Rhea nicht noch mal weiterzugeben versucht, was sie schon einmal weiterzugeben versucht hat.«
»Ich habe mindestens einen schrecklichen Fehler begangen«, sagte Roland, »aber rechne mir nicht als weiteren an, dass ich Susan liebe. Daran konnte ich
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