Der Dunkle Turm 4 - Glas
entblößten ebenmäßige kleine Zähne, die zugespitzt worden zu sein schienen – ganz bestimmt konnten derart spitze Zähne nicht natürlichen Ursprungs sein. Er trug ein schwarzes Gewand, wie ein Talar eines heiligen Mannes, mit zurückgeschlagener Kapuze. Jonas’ erster Eindruck, dass der Mann kahl war, traf nicht zu, wie er jetzt sah. Das Haar war einfach so kurz geschnitten, dass es bestenfalls ein Flaum war.
»Steck die Spielzeugkanone weg«, sagte der Mann in Schwarz. »Wir sind Freunde hier, wie gesagt – die dicksten Kumpels unter sich. Wir brechen gemeinsam das Brot und unterhalten uns über dieses und jenes – Ochsen und Öltanks und ob Frank Sinatra wirklich ein besserer Crooner war als Der Bingle.«
»Wer? Ein besserer was?«
»Niemand, den du kennst; nichts, was wichtig wäre.« Der Mann in Schwarz kicherte wieder. Es war ein Geräusch, dachte Jonas, das man aus den vergitterten Fenstern eines Irrenhauses zu hören erwartete.
Er drehte sich um. Sah wieder in den Spiegel. Diesmal sah er den Mann in Schwarz dastehen und ihm zulächeln, in voller Lebensgröße. Götter, war er die ganze Zeit da gewesen?
Ja, aber du hast ihn erst sehen können, als er gesehen werden wollte. Ich weiß nicht, ob er ein Zauberer ist, aber er ist auf jeden Fall ein Gaukler. Vielleicht sogar Farsons Magier.
Er drehte sich um. Der Mann im Priestergewand lächelte noch. Keine spitz zugefeilten Zähne mehr. Aber sie waren spitz gewesen. Jonas hätte seine Uhr und Urkunde darauf verwettet.
»Wo ist Rimer?«
»Ich habe ihn weggeschickt, damit er mit der jungen Sai Delgado ihren Erntefestkatechismus übt«, sagte der Mann in Schwarz. Er legte Jonas vertraulich den Arm um die Schultern und führte ihn zum Tisch. »Ich finde, es ist am besten, wenn wir allein palavern.«
Jonas wollte Farsons Mann nicht vor den Kopf stoßen, aber er konnte die Berührung dieses Arms nicht ertragen. Warum, das konnte er nicht sagen, aber es war unerträglich. Unausstehlich. Jonas schüttelte den Arm ab, ging zu einem der Stühle und versuchte, nicht zu erschauern. Kein Wunder, dass Depape so blass vom Hanging Rock zurückgekommen war. Überhaupt kein Wunder.
Der Mann in Schwarz zeigte sich keineswegs beleidigt, sondern kicherte nur wieder (Ja, dachte Jonas, er lacht wie die Toten, genau so, das ist wahr). Einen Augenblick lang hatte Jonas den Eindruck, der Mann in diesem Raum mit ihm wäre Fardo, Corts Vater, – wäre der Mann, der ihn vor vielen Jahren nach Westen geschickt hatte –, und er griff erneut nach seiner Waffe. Dann stand wieder nur der Mann in Schwarz vor ihm, lächelte ihm auf eine unangenehm wissende Weise zu, und die blauen Augen tanzten wie die Flammen der Gaslaternen.
»Etwas Interessantes gesehen, Sai Jonas?«
»Aye«, sagte Jonas und setzte sich. »Fressalien.« Er nahm ein Stück Brot und biss davon ab. Das Brot klebte an seiner trockenen Zunge, aber er kaute es dennoch entschlossen.
»Guter Junge.« Der andere setzte sich ebenfalls und schenkte Wein ein, Jonas’ Glas zuerst. »Nun, mein Freund, erzähl mir alles, was du getan hast, seit die drei jungen Unruhestifter eingetroffen sind, und alles, was du weißt und was du geplant hast. Ich möchte, dass du nicht ein einziges Jota auslässt.«
»Zeigen Sie mir zuerst Ihr Sigul.«
»Gewiss. Wie vorsichtig du doch bist.«
Der Mann in Schwarz griff in sein Gewand und holte ein Metallquadrat heraus – Silber, wie Jonas vermutete. Er warf es auf den Tisch, wo es scheppernd bis zu Jonas’ Teller rutschte. Genau das, was er erwartet hatte, war darin eingraviert – dieses grässliche starrende Auge.
»Zufrieden?«
Jonas nickte.
»Schieb es mir wieder her.«
Jonas wollte danach greifen, aber bei dieser Gelegenheit hatten seine sonst so sicheren Hände Ähnlichkeit mit seiner brüchigen, schwankenden Stimme. Er sah die Finger kurz zittern und ließ die Hand hastig auf den Tisch sinken.
»Ich… ich will nicht.«
Nein. Er wollte nicht. Plötzlich wusste er, wenn er es anfasste, würde sich das gravierte Silberauge drehen… und ihn offen ansehen.
Der Mann in Schwarz kicherte und machte mit den Fingern der rechten Hand eine winkende Geste. Die Silberschnalle (so sah es für Jonas aus) rutschte zu ihm zurück… und den Ärmel seiner handgewirkten Robe hinauf.
»Abrakadabra! Bool! Das Ende! Also«, fuhr der Mann in Schwarz fort und trank geziert von seinem Wein, »wenn wir die langweiligen Formalitäten hinter uns haben…«
»Eines noch«, sagte Jonas. »Sie
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