Der Dunkle Turm 4 - Glas
Halt gemacht hatten. Sie sahen die schreiende Verwirrung, das panische Durcheinander, die Männer, die niedergetrampelt, die Männer und die Pferde, die in die Schwachstelle hineingetrieben wurden… und die Männer, die am Ende freiwillig hineingingen.
Cuthbert war am dichtesten am Rand des Canyons, dann kam Alain, dann Roland, der auf einem schmalen Felssims stand und sich an einem Überhang dicht über ihm festhielt. Von ihrer Position aus konnten sie etwas sehen, was die Männer, die sich in der rauchenden Hölle da unten quälten, nicht sehen konnten: dass die Schwachstelle wuchs, sich streckte, ihnen wie eine steigende Flut gierig entgegenkroch.
Roland, dessen Kampfeslust erloschen war, wollte eigentlich nicht mit ansehen, was da unten vor sich ging, konnte sich aber auch nicht abwenden. Das Winseln der Schwachstelle – feige und triumphierend zugleich, glücklich und traurig zugleich, hilflos und entschlossen zugleich – hielt ihn fest wie süße, klebrige Stricke. Er blieb, wo er war, so hypnotisiert wie seine Freunde über ihm, selbst als der Rauch aufstieg und sie in seinem beißenden Geruch husten mussten.
Männer kreischten sich in dem dichten Qualm da unten die Seele aus dem Leib. Sie wanden sich darin wie Phantome. Sie verschwanden, als der Rauch immer dichter wurde und wie Wasser an den Felswänden emporstieg. Pferde wieherten verzweifelt unter dem ätzenden weißen Leichentuch. Der Wind kräuselte dessen Oberfläche launisch zu Strudeln. Die Schwachstelle summte; über der Fläche, die sie einnahm, hatte der Rauch einen geheimnisvollen, ganz leicht grünlichen Farbton angenommen.
Dann, endlich, schrien John Farsons Männer nicht mehr.
Wir haben sie alle getötet, dachte Roland von einem Übelkeit erregenden und faszinierten Entsetzen erfüllt. Dann: Nein, nicht wir. Ich. Ich habe sie getötet.
Roland hatte keine Vorstellung, wie lange er da noch stehen geblieben wäre – möglicherweise bis der ätzende Rauch ihn ebenfalls eingehüllt hätte –, doch dann rief Cuthbert, der weiter hinaufgeklettert war, drei Worte zu ihm hinunter; rief sie mit einem überraschten und zugleich erschrockenen Ton.
»Roland! Der Mond!«
Roland schaute verblüfft auf und sah, dass der Himmel einen samtenen Violettton angenommen hatte. Die Silhouette seines Freundes, der nach Osten sah, zeichnete sich davor ab, und das Gesicht wurde vom Licht des aufgehenden Mondes in ein fiebriges, orangefarbenes Licht gebadet.
Ja, orange, summte die Schwachstelle in seinem Kopf. Lachte sie in seinem Kopf. Orange wie in der Nacht, als du hierher gekommen bist, um mich zu sehen und zu zählen. Orange wie Feuer. Orange wie ein Freudenfeuer.
Wie kann es schon fast dunkel sein?, schrie er innerlich, aber er wusste es – ja, er wusste es sehr wohl. Die Zeit hatte sich zusammengezogen, mehr nicht, wie die Ränder einer Erdspalte, die sich nach dem Streit eines Erdbebens wieder umarmten.
Das Zwielicht war gekommen.
Der Mondaufgang war gekommen.
Das Grauen traf Roland wie eine geballte Faust, die sein Herz zum Ziel hatte, und ließ ihn auf dem schmalen Sims zurückfahren. Er streckte die Hand nach dem hornförmigen Überhang aus, erlangte das Gleichgewicht aber noch lange nicht wieder; der größte Teil von ihm befand sich wieder in dem rosa Sturm, bevor er dort fortgerissen worden war und den halben Kosmos gezeigt bekommen hatte. Vielleicht hatte ihm das Glas des Zauberers nur gezeigt, was Welten entfernt lag, um ihn von dem abzulenken, was sich bald in unmittelbarer Nähe zutragen mochte.
Ich würde kehrtmachen, wenn ich glaubte, dass ihr Leben wirklich in Gefahr ist, hatte er gesagt. Auf der Stelle.
Und wenn die Kugel das gewusst hatte? Wenn sie nicht lügen konnte, konnte sie dann nicht vielleicht ablenken? Konnte sie ihn nicht mit sich fortnehmen und ihm ein dunkles Land zeigen, einen dunkleren Turm? Und sie hatte ihm noch etwas gezeigt, etwas, was ihm erst jetzt wieder einfiel: einen hageren Mann in einer Farmerlatzhose, der gesagt hatte… was? Nicht ganz das, was er gedacht hatte, was er sein ganzes Leben lang gehört hatte; nicht Leben für dich und Leben für deine Saat, sondern…
»Tod«, flüsterte er zu den umliegenden Steinen. »Tod für dich, Leben für meine Saat. Charyou-Baum. Das hat er gesagt. Charyou-Baum. Komm, Ernte.«
Orange, Revolvermann, sagte eine brüchige alte Stimme in seinem Kopf lachend. Die Stimme deren vom Cöos. Die Farbe von Freudenfeuern. Charyou-Baum, fin de año, dies sind die alten
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