Der Dunkle Turm 4 - Glas
während Susannah auf einer Seite und Jake auf der anderen stand. Roland war hinten beim Lagerfeuer und packte alles ein, was er als ihre Gunna bezeichnete, ein Wort, das ihre sämtlichen irdischen Habseligkeiten zu beinhalten schien. Das Ding vor ihnen bereitete ihm allem Anschein nach kein Kopfzerbrechen; offenbar wusste er tatsächlich nicht, was es war.
Wie weit entfernt? Dreißig Meilen? Fünfzig? Die Antwort schien davon abzuhängen, wie weit man in diesem flachen Land sehen konnte, und darauf hatte Eddie keine Antwort. In einem war er sich jedoch ziemlich sicher, nämlich dass Jake in mindestens zweifacher Hinsicht Recht gehabt hatte – es handelte sich um eine Art von Gebäude, und es erstreckte sich über alle vier Spuren des Highways. Es musste so sein; wie sonst hätten sie es sonst sehen können? Es hätte in der Schwachstelle verschwinden müssen… oder nicht?
Vielleicht steht es in einer dieser freien Stellen – »Löcher in den Wolken« hat Suze dazu gesagt. Vielleicht ist die Schwachstelle auch zu Ende, bevor wir so weit kommen. Vielleicht ist es auch eine gottverdammte Halluzination. Vorläufig kannst du es jedenfalls vergessen. Bis wir dort sind, müssen wir noch eine ganze Weile highwaysurfen.
Aber das Gebäude ließ ihn nicht los. Es sah aus wie ein ätherisches blau-goldenes Gebilde aus Tausendundeiner Nacht… nur hatte Eddie das Gefühl, als wären das Blau vom Himmel und das Gold von der gerade aufgegangenen Sonne gestohlen worden.
»Roland, komm mal kurz her!«
Zuerst dachte er, der Revolvermann würde nicht kommen, doch dann zurrte Roland eine Wildlederschnur um Susannahs Bündel, stand auf, stemmte die Hände ins Kreuz, streckte sich und kam schließlich zu ihnen.
»Götter, man könnte annehmen, in dieser Bande hat niemand außer mir einen Sinn für Hausarbeit«, sagte Roland.
»Wir helfen mit«, sagte Eddie. »Tun wir doch immer, oder nicht? Aber sieh dir zuerst das Ding dort an.«
Roland gehorchte, aber nur mit einem kurzen Blick, als wollte er es nicht einmal zur Kenntnis nehmen.
»Das ist Glas, oder nicht?«, sagte Eddie.
Roland sah noch einmal kurz hin. »Mir dünkt«, sagte er, ein Ausdruck, der Schätze ja, Partner zu bedeuten schien.
»Wir haben eine Menge Gebäude aus Glas, wo ich herkomme, aber die meisten sind Bürohäuser. Das Ding da vorn sieht mehr nach etwas aus Disney World aus. Weißt du, was es ist?«
»Nein.«
»Warum willst du es dann nicht ansehen?«, fragte Susannah.
Roland riskierte noch einen Blick auf das ferne Funkeln von Licht auf Glas, aber wieder geschah es hastig – kaum mehr als ein Blinzeln.
»Weil es Ärger bedeutet«, sagte Roland, »und es liegt sowieso auf unserem Weg. Zur gegebenen Zeit werden wir dort sein. Es ist nicht nötig, in Ärger zu leben, bevor der Ärger da ist.«
»Werden wir noch heute dort ankommen?«, fragte Jake.
Roland zuckte mit nach wie vor verschlossenem Gesicht die Achseln. »Es wird Wasser geben, so Gott es will«, sagte er.
»Herrgott, du hättest ein Vermögen als Texter für Glückskekse verdienen können«, sagte Eddie. Er hoffte wenigstens auf ein Lächeln, bekam aber keines. Roland ging einfach über die Straße zurück, ließ sich auf ein Knie nieder, schulterte Tasche und sein Bündel und wartete dann auf die anderen. Als auch sie sich gerüstet hatten, setzten die Pilger gemeinsam ihren Fußmarsch auf der Interstate 70 nach Osten fort. Der Revolvermann ging voran, den Kopf gesenkt und die Augen auf die Spitzen seiner Stiefel gerichtet.
12
Roland war den ganzen Tag über still, und als das Gebäude vor ihnen näher kam (Ärger, und auf unserem Weg, hatte er gesagt), wurde Susannah klar, dass sie es hier nicht mit Verdrossenheit zu tun hatten oder mit Sorge wegen irgendetwas, was weiter in der Zukunft lag als der heutige Abend. Roland dachte über die Geschichte nach, die er ihnen erzählen wollte, und er war darüber weitaus mehr als nur besorgt.
Als sie Rast machten und zu Mittag aßen, konnten sie das Gebäude vor ihnen deutlich sehen – ein Palast mit vielen Türmchen, der fast ausschließlich aus Spiegelglas zu bestehen schien. Die Schwachstelle lag ganz in der Nähe, aber der Palast überragte alles ganz gelassen und griff mit seinen Türmchen nach dem Himmel. Natürlich wirkte er hier in der flachen Landschaft von Kansas völlig fehl am Platz, aber Susannah fand, dass es das schönste Gebäude war, das sie in ihrem Leben je gesehen hatte; sogar noch schöner als das Chrysler
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