Der Dunkle Turm 4 - Glas
es begrüßen!«
Roland legte die Waffe auf den Boden und stieß sie mit dem Handrücken weg. Plötzlich wollte er seine Finger nicht mehr in der Nähe des Abzugs eines Revolvers haben. Er hatte sie nicht mehr ganz in der Gewalt, diese Finger. Das hatte er bereits am Tag zuvor feststellen müssen, etwa zu dem Zeitpunkt, als er Cort die Nase gebrochen hatte.
»Vater, ich habe gestern meine Prüfung abgelegt. Ich habe Cort seinen Stock weggenommen. Ich bin ein Mann.«
»Du bist ein Narr«, sagte sein Vater. Das Grinsen war jetzt verschwunden; er sah hager und alt aus. Er ließ sich auf das Bett der Hure sinken, betrachtete die Revolvergurte, die er immer noch hielt, und ließ sie zwischen seine Füße fallen. »Du bist ein vierzehnjähriger Narr, und das sind die schlimmsten und verzweifeltsten.« Er sah wieder wütend auf, aber das störte Roland nicht; Wut war besser als jener Ausdruck der Erschöpfung. Jener Ausdruck eines alten Mannes. »Ich weiß, dass du kein Genie bist, seit du ein Säugling warst, aber bis gestern Abend habe ich nicht geglaubt, dass du ein Idiot bist. Dass du dich von ihm hast treiben lassen wie ein Stück Vieh zur Schlachtbank! Götter! Du hast das Angesicht deines Vaters vergessen! Sag es!«
Und das ließ die Wut des Jungen hell auflodern. Bei allem, was er am Tag zuvor getan hatte, hatte er das Angesicht seines Vaters fest vor Augen gehabt.
»Das ist nicht wahr!«, schrie er von seinem Platz aus, wo er mit nacktem Hintern auf den rauen Bodendielen in der Kammer der Hure saß und den Rücken an die Wand lehnte, während die Sonne durch das Fenster schien und den Flaum seiner hellen, makellosen Wangen berührte.
»Es ist wahr, du Balg! Du närrischer Balg! Sag deine Bußformel, oder ich werde dir das Fell über die…«
»Sie waren zusammen!«, platzte der Junge heraus. »Deine Frau und dein Minister – dein Zauberer! Ich habe das Mal seines Mundes an ihrem Hals gesehen! Am Hals meiner Mutter!« Er griff nach der Waffe und hob sie auf, achtete aber selbst in seiner Scham und Wut sorgsam darauf, dass er mit den Fingern nicht in die Nähe des Abzugs kam; er hielt den Lehrlingsrevolver nur am schlichten, schmucklosen Metall des Laufs. »Heute werde ich dem Leben dieses verräterischen Verführers mit dieser Waffe ein Ende setzen, und wenn du nicht Manns genug bist, mir zu helfen, dann kannst du wenigstens beiseite treten und mich…«
Einer der Revolver an Stevens Hüfte war aus dem Holster und lag in der Hand, noch ehe Roland eine Bewegung sehen konnte. Ein einziger Schuss ertönte, in dem kleinen Zimmer ein ohrenbetäubendes Donnern; es dauerte eine volle Minute, bis Roland die murmelnden Fragen und den Aufruhr unten hören konnte. Der Lehrlingsrevolver indessen war fort, aus Rolands Hand geschossen, wo lediglich ein Kribbeln zurückblieb. Der Revolver flog zum Fenster hinaus und war dahin, der Griff ein zertrümmertes Stück Altmetall und seine kurze Rolle in Rolands langer Geschichte damit beendet.
Roland sah seinen Vater erschrocken und erstaunt an. Steven erwiderte den Blick und sagte lange Zeit nichts. Aber nun stellte er wieder das Gesicht zur Schau, das Roland seit seiner frühesten Kindheit kannte: ruhig und selbstsicher. Die Erschöpfung und der Ausdruck halbwegs unbewusster Wut waren daraus verschwunden wie die Gewitter der vergangenen Nacht.
Schließlich sprach sein Vater wieder. »Es war falsch, was ich gesagt habe, und ich entschuldige mich. Du hast mein Angesicht nicht vergessen, Roland. Aber ein Narr warst du trotzdem – du hast zugelassen, dass dich einer, der weit listenreicher ist, als du es in deinem Leben je sein wirst, zu etwas getrieben hat. Nur durch die Gnade der Götter und das Wirken des Ka bist du nicht nach Westen geschickt worden, ein weiterer wahrhaftiger Revolvermann, der aus Martens Weg entfernt wurde… aus John Farsons Weg… und aus dem Weg, der zu jener Kreatur führt, die die beiden beherrscht.« Er stand auf und streckte die Arme aus. »Wenn ich dich verloren hätte, Roland, wäre ich gestorben.«
Roland stand auf und ging nackt zu seinem Vater, der ihn heftig umarmte. Als Steven Deschain ihn zuerst auf die eine und dann auf die andere Wange küsste, fing Roland an zu weinen. Dann flüsterte Steven Deschain seinem Sohn Roland sechs Wörter ins Ohr.
16
»Was?«, fragte Susannah. »Was für sechs Wörter?«
›»Ich weiß es seit zwei Jahren‹«, sagte Roland. »Genau, das hat er geflüstert.«
»Herr im Himmel«, sagte
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