Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Dunkle Turm 4 - Glas

Titel: Der Dunkle Turm 4 - Glas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: King Stephen
Vom Netzwerk:
Kussmonds, wahrhaftig, dachte sie), dann legte sie ihn beiseite. Die Schlange glitt unter das Bett, ringelte sich dort zusammen und sah ihr zu, wie sie mit den Handflächen über die Oberseite des Hartholzkästchens strich. Sie konnte die Muskeln ihrer Oberarme beben spüren, und die Hitze in ihrem Unterleib wurde deutlicher. Es war Jahre her, seit sie zum letzten Mal den Ruf ihres Geschlechts vernommen hatte, aber nun spürte sie ihn, das tat sie, und es lag nicht am Wirken des Kussmonds, jedenfalls nicht sehr.
    Das Kästchen war verschlossen, und Jonas hatte ihr keinen Schlüssel gegeben, aber das war kein Hindernis für sie, hatte sie doch lang genug gelebt und viel gelernt und mit Kreaturen verkehrt, vor denen die meisten Männer trotz allem hochtrabendem Geschwätz und großspurigem Gebaren davongerannt wären, als stünden sie in Flammen, wenn sie auch nur einen Blick darauf erhascht hätten. Sie streckte eine Hand zu dem Schloss, in welches der Umriss eines Auges eingraviert war sowie ein Spruch in der Hohen Sprache (ich sehe, wer mich öffnet), dann zog sie die Hand wieder weg. Plötzlich konnte sie riechen, was ihre Nase unter normalen Umständen nicht mehr wahrnahm: Schmutz und Staub und eine verdreckte Matratze und die Krümel von Essen, das im Bett gegessen worden war; die Gerüche von Asche und uraltem Weihrauch; den Geruch einer alten Frau mit feuchten Triefaugen und einer (jedenfalls für gewöhnlich) trockenen Muschi. Sie würde das Kästchen nicht hier drinnen öffnen, um das Wunder zu bestaunen, das es enthielt; sie würde nach draußen gehen, wo die Luft klar und rein war und nur nach Salbei und Mesquite duftete.
    Sie würde es sich im Licht des Kussmonds ansehen.
    Rhea vom Berge Cöos zog das Kästchen grunzend aus dem Erdloch, erhob sich mit einem weiteren Grunzen (diesmal von weiter unten) auf die Füße, klemmte sich das Kästchen unter den Arm und verließ das Zimmer.
     
     
    2
     
    Die Hütte lag so weit unterhalb der Hügelkuppe, dass die bittersten winterlichen Windböen abgehalten wurden, die in diesem Hochland fast unablässig von Ernte bis zum Ende von Weiter Erde wehten. Ein Pfad führte zum höchsten Punkt des Hügels; unter dem Vollmond war er ein Graben voller Silber. Die alte Frau watschelte schnaufend hinauf, das weiße Haar stand ihr in schmutzigen Strähnen vom Kopf ab, und unter dem schwarzen Kleid schwankten ihre alten Beutel von einer Seite zur anderen. Die Katze folgte in ihrem Schatten und verströmte weiterhin ihr rostiges Schnurren wie einen Gestank.
    Oben auf dem Hügel wehte ihr der Wind das Haar von dem verwüsteten Gesicht weg und trug ihr das stöhnende Flüstern der Schwachstelle zu, die sich ins entgegengesetzte Ende des Eyebolt Canyon gefressen hatte. Sie wusste, dass es ein Geräusch war, das die wenigsten gern hörten, aber sie selbst liebte es; für Rhea vom Cöos hörte es sich an wie ein Schlummerlied. Am Himmel stand der Mond, auf dessen blasser Haut die Schatten die Umrisse der Gesichter eines küssenden Liebespaares zeichneten… das heißt, wenn man den gewöhnlichen Narren da unten glauben wollte. Die gewöhnlichen Narren da unten sahen in jedem Vollmond ein neues Gesicht oder Gesichter, aber die Vettel wusste, dass es nur eines gab – das Gesicht des Dämons. Das Gesicht des Todes.
    Sie selbst jedoch hatte sich nie lebendiger gefühlt.
    »O meine Schönheit«, flüsterte sie und berührte das Schloss mit ihren gichtigen Fingern. Ein schwacher rötlicher Schimmer war zwischen den gespannten Knöcheln zu sehen, ein Klicken zu hören. Sie atmete schwer, wie eine Frau, die ein Rennen gelaufen war, und machte das Kästchen auf.
    Rosafarbenes Licht, schwächer als das des Kussmonds, aber unendlich viel schöner, strahlte daraus hervor. Es fiel auf das verlebte Gesicht über dem Kästchen und verwandelte es einen Moment lang wieder in das Gesicht eines jungen Mädchens.
    Musty schnupperte mit vorgestrecktem Kopf, angelegten Ohren und einem rosa Schimmer in den alten Augen. Rhea wurde sofort eifersüchtig.
    »Geh weg, närrisches Ding, das ist nichts für deinesgleichen!«
    Sie scheuchte die Katze weg. Musty wich zurück, zischte wie ein Kessel und stakste beleidigt zu dem Gipfel, der die höchste Stelle des Cöos bildete. Dort blieb er sitzen, verströmte Missfallen und leckte sich eine Pfote, während der Wind ihm unablässig durch das Fell kämmte.
    In dem Kästchen lag eine Glaskugel. Aus ihr erstrahlte das rosa Licht; es pulsierte leicht wie mit dem

Weitere Kostenlose Bücher