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Der Dunkle Turm 4 - Glas

Titel: Der Dunkle Turm 4 - Glas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: King Stephen
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Händlern auf den Straßen der Altstadt und Pferden, die auf den Reitwegen dahintrotteten, die strahlenförmig vom Palast wegführten, der im Zentrum von allem lag. Sein Vater hatte ihm mehr erzählt (nicht alles), und Roland hatte mehr verstanden (aber längst nicht alles – ebenso wenig wie sein Vater alles verstand). Der Dunkle Turm war dabei von keinem der beiden erwähnt worden, aber er beherrschte bereits Rolands Denken, eine Möglichkeit wie eine Sturmwolke, weit entfernt am Horizont.
    Ging es bei alledem wirklich um den Turm? Nicht um einen plündernden Emporkömmling, der davon träumte, Mittwelt zu beherrschen, nicht um den Magier, der Rolands Mutter bezaubert hatte, nicht um die Glaskugel, die Steven und sein Trupp in Cressia zu finden gehofft hatten… sondern um den Dunklen Turm?
    Er hatte nicht gefragt.
    Er hatte nicht gewagt zu fragen.
    Nun verschob er sein Bettzeug und schloss die Augen. Sofort sah er das Gesicht des Mädchens vor sich; er spürte wieder ihre Lippen, die fest auf die seinen gedrückt wurden, und roch den Duft ihrer Haut. Ihm wurde unverzüglich vom Scheitel bis zum Steißbein ganz heiß, aber gleichzeitig kalt vom Steißbein bis zu den Zehen. Dann dachte er daran, wie ihre Beine aufgeblitzt hatten, als sie von Rushers Rücken geglitten war (und an den Blick auf ihre Unterwäsche unter dem kurz hochgehobenen Kleid), und seine heiße und kalte Hälfte tauschten die Plätze.
    Die Hure hatte ihm seine Jungfräulichkeit genommen, wollte ihn aber nicht küssen; sie hatte das Gesicht weggedreht, als er versucht hatte, sie zu küssen. Sie hatte ihn alles tun lassen, was er wollte, nur das nicht. Damals war er bitter enttäuscht gewesen. Nun war er froh darüber.
    Mit dem inneren Auge seines halbwüchsigen Verstands, rastlos und klar zugleich, betrachtete er den Zopf, der auf ihrem Rücken bis zur Taille hinabhing, die sanften Grübchen, die sich an ihren Mundwinkeln bildeten, wenn sie lächelte, ihre musikalische Stimme, ihre altmodische Art, Ihr und Euer zu sagen, aye und Da’. Er dachte daran, wie sich ihre Hände auf seinen Schultern angefühlt hatten, als sie sich vorgereckt hatte, um ihn zu küssen, und dachte, er würde alles dafür geben, ihre Hände noch einmal dort zu spüren, so leicht und doch so fest. Und ihren Mund auf dem seinen. Es war ein Mund, der nur wenig vom Küssen verstand, wie er annahm, aber das war immerhin etwas mehr, als er selbst davon verstand.
    Sei vorsichtig, Roland – lass nicht zu, dass deine Gefühle für dieses Mädchen dazu führen, dass sich die Dinge irgendwie überschlagen. Sie ist ohnehin nicht frei – so viel hat sie gesagt. Nicht verheiratet, aber auf andere Weise versprochen.
    Roland war längst nicht das erbarmungslose Geschöpf, das er einmal werden sollte, aber der Keim dieser Erbarmungslosigkeit war bereits angelegt – kleine, steinerne Dinge, die im Lauf der Zeit zu Bäumen mit tiefen Wurzeln heranwachsen sollten… und mit bitteren Früchten. Nun platzte einer dieser Samen auf und ließ seine erste scharfe Klinge wachsen.
    Was versprochen wurde, kann rückgängig gemacht werden, und was geschehen ist, kann ungeschehen gemacht werden. Nichts ist sicher, nur… Ich will sie.
    Ja. Das wusste er mit Sicherheit, und er wusste es so sicher, wie er das Angesicht seines Vaters kannte: Er wollte sie. Nicht so, wie er die Hure gewollt hatte, als diese nackt und mit gespreizten Beinen auf dem Bett lag und mit ihren halb geschlossenen Augen zu ihm aufschaute, sondern auf eine Weise, wie er Essen wollte, wenn er hungrig war, oder Wasser, wenn ihn dürstete. In derselben Weise, vermutete er, wie er Martens staubigen Leichnam hinter seinem Pferd durch die Hauptstraße von Gilead schleifen wollte, um ihn dafür bezahlen zu lassen, was er Rolands Mutter angetan hatte.
    Er wollte sie; er wollte das Mädchen Susan.
    Roland drehte sich auf die andere Seite, schloss die Augen wieder und schlief ein. Sein Schlaf war unruhig und von den grobschlächtig poetischen Träumen heimgesucht, die nur heranwachsende Jungs hatten; Träume, in denen sexuelle Anziehung und romantische Liebe zusammenkamen und stärker widerhallten als jemals wieder im späteren Leben. In diesen durstigen Visionen legte Susan Delgado immer wieder ihre Hände auf Rolands Schultern, küsste ihn immer wieder auf den Mund, sagte ihm immer wieder, dass er zum ersten Mal zu ihr kommen, zum ersten Mal bei ihr sein sollte, dass er sie zum ersten Mal sehen sollte, sie sehr wohl ansehen

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