Der Dunkle Turm 6 - Susannah
verrückt beschäftigt. Die hohe Lobby hallte von Lachen und angeregten Gesprächen in einer seltsamen Sprache wider, die Mia an Vogelgezwitscher erinnerte. Die verspiegelten Wände steigerten die allgemeine Verwirrung, weil sie die Hotelhalle doppelt so voll erscheinen ließen, wie sie tatsächlich war.
Mia wich zurück und überlegte, was sie jetzt tun sollte.
»Page!«, rief eine der Empfangsdamen und schlug mit der Hand auf eine Glocke. Der Klang schien wie ein silberner Pfeil durch Mias konfuse Gedanken zu schießen. »Page, bitte!«
Ein grinsender Mann – schwarzes, am Kopf klebendes Haar, gelbe Haut, Schlitzaugen hinter einer runden Brille – kam mit einem dieser rechteckigen Blitzkästen auf Mia zugehastet. Mia wappnete sich dafür, ihn umzubringen, falls er sie angriff.
»Bittah, mach-ah Foto von mein Frau un mich?«
Hielt ihr das Blitzding hin. Wollte, dass sie es entgegennahm. Mia wich zurück, fragte sich, ob es mit Strahlung funktionierte, ob die Blitze dem kleinen Kerl schaden konnten.
Susannah, was soll ich tun?
Keine Antwort. Natürlich nicht, nach allem, was vorhin passiert war, konnte sie offenbar nicht mit Susannahs Hilfe rechnen, aber…
Der grinsende Mann hielt ihr weiter die Blitzmaschine hin. Er wirkte etwas ratlos, aber hauptsächlich unverzagt. »Sie mach-ah Foto, bittah?« Und drückte ihr den kleinen Kasten in die Hand. Er trat zurück und legte den Arm um eine Frau, die genau wie er aussah, nur dass sie ihr glänzendes schwarzes Haar in einer Frisur, die Mia für sich als Pagenfrisur bezeichnete, mit exakt gerade geschnittenem Pony trug. Sogar ihre Brillen waren identisch.
»Nein«, sagte Mia. »Nein, erflehe Verzeihung… nein.« Die Panik war jetzt sehr nahe und sehr hell, waberte und schnatterte dicht vor ihr
(Sie mach-ah Foto, wil töt-ah Baby)
und Mia hätte den rechteckigen Blitzer am liebsten fallen lassen. Aber das hätte ihn zerbrechen und das Teufelszeug, das die Blitze bewirkte, freisetzen können.
Sie stellte ihn stattdessen vorsichtig ab, lächelte dem verblüfften japanischen Paar (der Arm des Mannes war noch immer um seine Frau gelegt) entschuldigend zu und hastete durch die Hotelhalle zu der kleinen Geschenkboutique hinüber. Sogar die Klaviermusik war anders; statt der vorigen beruhigenden Melodien hämmerte der Pianist jetzt etwas schroff Dissonantes herunter, das wie musikalische Kopfschmerzen klang.
Ich brauche eine Bluse, weil auf der hier Blutflecken sind. Ich besorge mir eine, und dann gehe ich ins Dixie Pig, Sixty-first und Lexingworth… Lexington, meine ich, Lexington… und dann bekomme ich mein Baby. Ich bekomme mein Baby, und damit ist Schluss mit diesem ganzen Durcheinander. Bald werde ich daran denken müssen, wie ängstlich ich doch gewesen war, und nachträglich darüber lachen.
Aber der kleine Laden war ebenfalls voll. Japanerinnen begutachteten die Souvenirs und zwitscherten in ihrer Vogelsprache miteinander, während sie darauf warteten, dass ihre Männer sie eincheckten. Mia konnte einen Tisch sehen, auf dem Blusen gestapelt waren, aber auch er war von Frauen umlagert, die sie begutachteten. Und an der Verkaufstheke hatte sich bereits eine Schlange gebildet.
Susannah, was soll ich machen? Du musst mir helfen!
Keine Antwort. Sie war da, Mia konnte sie spüren, aber sie wollte ihr nicht helfen. Und mal ehrlich, dachte Mia, würde ich es an ihrer Stelle tun?
Nun, vielleicht hätte sie’s getan. Natürlich würde jemand ihr den richtigen Anreiz bieten müssen, aber…
Der einzige Anreiz, den ich von dir will, ist die Wahrheit, sagte Susannah kalt.
Irgendjemand streifte Mia, als sie an der Ladentür stand, und sie hob die Hände, während sie sich umdrehte. Wenn das ein Feind oder ein Feind ihres kleinen Kerls war, würde sie ihm die Augen auskratzen.
»Solly«, sagte eine schwarzhaarige Frau lächelnd. Wie der Mann zuvor hielt sie Mia eines dieser rechteckigen Blitzdinger hin. In der Mitte hatte es ein rundes Glasauge, das Mia anstarrte. Darin konnte sie das eigene Gesicht erkennen: klein und dunkel und verwirrt. »Sie mach-ah Foto, bitt-ah? Von mil und mein Fleundin?«
Mia hatte keine Ahnung, was die Frau meinte oder was sie wollte oder wozu die Blitzmacher dienen sollten. Sie wusste nur, dass hier zu viele Menschen waren; sie waren überall, das Ganze war ein Tollhaus. Durchs Schaufenster des Ladens konnte sie erkennen, dass auf dem Gehsteig vor dem Hotel ähnliches Gedränge herrschte. Sie sah gelbe Wagen und lang gestreckte
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