Der Dunkle Turm 6 - Susannah
schwarze Wagen mit Fenstern, durch die man nicht hineinsehen konnte (obwohl die darin sitzenden Leute zweifellos hinaussehen konnten), und ein riesiges silberfarbenes Vehikel, das brummend am Randstein stand. Zwei Männer in grüner Uniform standen auf der Fahrbahn und bliesen silberne Trillerpfeifen. Irgendwo in der Nähe begann etwas zu rattern. Für Mia, die noch nie einen Presslufthammer gehört hatte, klang es wie ein Schnellschießer – aber dort draußen warf sich niemand auf den Gehsteig; niemand wirkte auch nur besorgt.
Wie sollte sie das Dixie Pig ohne fremde Hilfe erreichen? Richard P. Sayre hatte behauptet, Odetta Holmes werde ihr bestimmt helfen, es zu finden, aber Susannah schwieg hartnäckig. Mia war kurz davor, völlig durchzudrehen.
Auf einmal meldete Susannah sich doch zu Wort.
Wenn ich dir jetzt ein bisschen helfe – dich an einen ruhigen Ort bringe, an dem du wieder Atem schöpfen und zumindest etwas in Sachen Bluse unternehmen kannst –, bekomme ich dann ein paar ehrliche Antworten?
In Bezug worauf?
In Bezug auf das Baby, Mia. Und auf seine Mutter. Auf dich.
Ich habe die Wahrheit gesagt!
Das glaube ich aber nicht. Ich glaube nicht, dass du elementarer bist als… nun, als ich. Ich will die Wahrheit.
Weshalb?
Ich will die Wahrheit, wiederholte Susannah, dann verstummte sie und weigerte sich, weitere Fragen Mias zu beantworten. Und weil jetzt ein weiterer grinsender kleiner Mann mit einem Blitzding in der Hand auf sie zutrat, verlor Mia die Nerven. Im Augenblick erschien es ihr, wie wenn schon die Durchquerung der Hotelhalle mehr war, als sie allein schaffen konnte; wie sollte sie da die ganze Strecke bis zu diesem Dixie Pig zurücklegen können? Nach so vielen Jahren in
(Fedic)
(Discordia)
(dem Schloss am Abgrund)
plötzlich unter so vielen Menschen zu sein verursachte bei ihr fast Schreikrämpfe. Und warum sollte sie der dunkelhäutigen Frau nicht das wenige erzählen, das sie wusste? Sie – Mia, niemands Tochter, eines Mutter – hielt das Steuer fest in der Hand. Was konnte es da schaden, etwas Wahrheit zu erzählen?
Also gut, sagte sie. Ich tue, was du verlangst, Susannah oder Odetta oder wer immer du bist. Hilf mir nur. Bring mich hier raus.
Susannah Dean kam nach vorn.
8
Neben der Hotelbar, um die Ecke hinter dem Pianospieler, lag eine Damentoilette. An den Waschbecken standen zwei der mandeläugigen Ladys mit gelbem Teint und schwarzem Haar, von denen eine sich die Hände wusch, während die andere sich die Haare richtete, wobei beide in ihrer Vogelsprache zwitscherten. Keine von ihnen achtete auf die Kokujin-Lady, die an ihnen vorbeiging und in einer der WC-Kabinen verschwand. Im nächsten Augenblick ließen die beiden sie in seliger Stille zurück – nur durch die leise Musik unterbrochen, die aus den Deckenlautsprechern herabrieselte.
Mia sah, wie der Riegel funktionierte, und schob ihn vor. Sie wollte sich gerade auf dem Toilettensitz niederlassen, da sagte Susannah: Zieh sie andersherum an.
»Was?«
Die Bluse, Weib. Zieh sie andersherum an, um deines Vaters willen!
Mia tat das nicht gleich. Sie war zu verblüfft.
Die Bluse war eine grob gewebte Callum-ka, eine Art einfacher Pullover, der in Reisanbaugebieten bei kühlerem Wetter von Frauen wie von Männern getragen wurde. Sie hatte einen Halsausschnitt, den Odetta Holmes als V-Ausschnitt bezeichnet hätte. Knöpfe gab es keine, weshalb sie sich tatsächlich sehr leicht wenden ließ, aber…
Susannah, hörbar ungeduldig: Willst du den ganzen Tag commala-lungern? Du sollst sie andersherum anziehen! Und diesmal steckst du sie in die Jeans.
W-warum?
Damit du anders aussiehst, antwortete Susannah prompt, aber das war nicht der wahre Grund. Eigentlich wollte sie sich selbst unterhalb der Taille sehen. Gehörten ihre Beine Mia, waren sie höchstwahrscheinlich weiß. Die Vorstellung, ein wirklich zweifarbiges Halbblut zu sein, fand sie faszinierend (und ein wenig übelkeitserregend).
Mia zögerte noch einen Augenblick länger, während sie mit den Fingerspitzen das raue Gewebe der Bluse unter dem schlimmsten Blutflecken rieb, der sich über ihrer linken Brust befand. Über ihrem Herzen. Das Ding einfach wenden! In der Hotelhalle waren ihr ein halbes Dutzend unausgereifter Ideen durch den Kopf gegangen (die geschnitzte Schildkröte zu benutzen, um die Leute im Laden zu verzaubern, war vermutlich die einzige gewesen, die halbwegs hätte funktionieren können), aber das verdammte Ding einfach zu wenden
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