Der Dunkle Turm 6 - Susannah
er seinen Vater ermordet. Die gute Nachricht ist, dass Roland innerhalb der nächsten paar Minuten mit großer Sicherheit sterben wird. Was Eddie betrifft, ist da leider kein Zweifel möglich. Er besitzt weder die Reflexe noch die Kampferfahrung eures Dinhs. Meine Liebe, Sie werden sehr bald Witwe werden. Das also wäre die schlechte Nachricht.«
Sie konnte nicht länger schweigen, und Mia ließ sie sprechen. »Das ist gelogen! Alles gelogen!«
»Durchaus nicht«, sagte Sayre gelassen, und jetzt fiel Susannah auch ein, woher sie diesen Namen kannte: aus dem Schlussteil von Callahans Geschichte. Detroit. Wo er gegen die heiligste Lehre seiner Kirche verstoßen und Selbstmord verübt hatte, um nicht den Vampiren in die Hände zu fallen. Um genau diesem Schicksal zu entgehen, war Callahan aus dem Fenster eines Wolkenkratzers gesprungen. Er war zuerst in Mittwelt gelandet und von dort aus durch die nichtgefundene Tür in die Grenzland-Callas gelangt. Und der Pere hatte berichtet, was er sich dabei vorgenommen hatte: Sie sollen nicht siegen, sie sollen nicht siegen! Und damit hatte er Recht, absolut Recht, verdammt noch mal. Aber wenn Eddie starb…
»Wir wussten, wo euer Dinh und Ihr Ehemann höchstwahrscheinlich ankommen würden, sollten sie durch eine bestimmte Tür gefegt werden«, erklärte Sayre ihr. »Und bestimmte Leute anzurufen, beginnend mit einem Kerl namens Enrico Balazar… Ich versichere Ihnen, Susannah, das war recht einfach.«
Susannah hörte die Aufrichtigkeit in seiner Stimme. Sollte er nicht wirklich meinen, was er da sagte, war er der beste Lügner der Welt.
»Wie haben Sie es geschafft, das alles rauszukriegen?«, fragte Susannah. Weil sie keine Antwort bekam, öffnete sie noch einmal den Mund, um ihre Frage zu wiederholen. Bevor sie das konnte, torkelte sie jedoch erneut rückwärts. Unabhängig davon, was Mia einst gewesen sein mochte, war sie in Susannahs Innerem zu unglaublichen Kräften herangewachsen.
»Ist sie fort?«, fragte Sayre.
»Ja, fort, wieder hinten.« Servil. Eifrig darauf bedacht, zu gefallen.
»Dann komm zu uns, Mia. Je früher du zu uns kommst, desto früher kannst du deinem kleinen Kerl ins Gesicht sehen!«
»Ja!«, rief Mia überglücklich aus, und Susannah glaubte plötzlich, etwas gleißend Helles zu sehen. So als würde man unter dem Rand eines Zirkuszelts hindurch einen verstohlenen Blick auf ein leuchtendes Wunder werfen. Oder auf ein finsteres.
Was sie sah, war ebenso einfach wie schrecklich: Pere Callahan, der von einem Ladenbesitzer etwas Salami kaufte. Von einem Yankee, der im Jahr 1977 eine bestimmte Gemischtwarenhandlung in der Kleinstadt East Stoneham in Maine führte. Callahan hatte ihnen allen im Pfarrhaus diese Story erzählt… und Mia hatte zugehört.
Verständnis zog herauf wie eine rote Sonne, die über einem Feld aufging, auf dem tausende Menschen gefallen waren. Susannah stürzte uneingedenk Mias neu erwachter Kräfte vor und kreischte unablässig:
»Miststück! Verräterisches Miststück! Mörderisches Miststück! Du hast ihnen gesagt, wohin die Tür sie schicken würde! Wo sie Eddie und Roland hinschicken würde! O du MISTSTÜCK!«
7
Mia war zwar erstarkt, aber auf diesen erneuten Angriff nicht vorbereitet gewesen. Er war besonders wild, weil Detta ihre mörderische Energie mit Susannahs Verständnis vereint hatte. Beim ersten Ansturm wurde die Fremde mit weit aufgerissenen Augen zurückgedrängt. Im Hotelzimmer fiel Mia der Telefonhörer aus der Hand. Sie torkelte wie betrunken über den Teppich, fiel beinahe längelang über eines der Betten und drehte sich dann wie eine beschwipste Tänzerin. Als Susannah ihr ins Gesicht schlug, erschienen auf ihrer Wange vier rote Fingerspuren, die wie Ausrufezeichen aussahen.
Ich ohrfeige mich selbst, mehr tue ich nicht, dachte Susannah. Das eigene Equipment zu verprügeln, wie dämlich kann man nur sein? Aber sie konnte sich nicht beherrschen. Die Ungeheuerlichkeit dessen, was Mia getan hatte, die verräterische Ungeheuerlichkeit…
Im Inneren, in einer Art Arena, die nicht ganz physisch war (aber auch nicht nur rein mental), gelang es Mia schließlich, Susannah/Detta an der Kehle zu packen und sie zurückzudrängen. Mias Augen waren noch immer vor Schock in Anbetracht dieses wilden Angriffs weit aufgerissen. Und vielleicht auch vor Scham. Susannah hoffte, dass Mia imstande war, Scham zu empfinden, dass sie noch nicht darüber hinaus war.
Ich habe getan, was ich tun musste, wiederholte
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