Der Dunkle Turm 6 - Susannah
verbracht«, sagte er. »Dort hatte ich einen verdammt netten Kollegen namens…«
Roland schüttelte den Kopf und legte dann die verbliebenen Finger der Rechten auf die Lippen. Cullum nickte.
»Also, ich hab vergessen, wie er heißt, aber er lebt drüben in Vermont, und ich bin mir sicher, dass mir sein Name wieder einfallen wird – vielleicht auch seine Adresse –, sobald ich über die Grenze nach New Hampshire bin.«
Irgendetwas an dieser kleinen Rede kam Eddie leicht unecht vor, aber er kam nicht auf den Grund dafür und gelangte zu dem Schluss, dass er einfach nur unter Verfolgungswahn litt. John Cullum spielte ehrlich… oder? »Für die Zukunft alles Gute«, sagte er und drückte dem Alten die Hand. »Lange Tage und angenehme Nächte.«
»Danke, gleichfalls, Jungs«, sagte Cullum. Er schüttelte Roland die Hand und hielt dessen dreifingrige Rechte noch einen Augenblick länger gedrückt. »Glauben Sie, dass Gott mir vorhin das Leben gerettet hat? Als der Kugelhagel angefangen hat?«
»Yar«, sagte der Revolvermann. »Wenn Ihr so wollt. Und möge er Euch jetzt begleiten.«
»Was meinen alten Ford betrifft…«
»Entweder hier oder irgendwo in der Nähe«, sagte Eddie. »Sie finden ihn oder bekommen ihn von irgendwem zurück. Machen Sie sich deswegen keine Sorgen.«
Cullum grinste. »Ziemlich genau das wollte ich Ihnen gerade erzählen.«
»Vaya con Dios«, sagte Eddie.
Der Alte grinste noch breiter. »Gleichfalls, mein Junge. Und nehmen Sie sich vor diesen Wiedergängern in Acht.« Er hielt kurz inne. »Manche von denen sind nicht sonderlich nett. Nach allem, was man so hört.«
Cullum legte den ersten Gang ein und fuhr davon. Roland sah ihm nach, dann sagte er: »Dan-Tete.«
Eddie nickte. Dan-Tete. Kleiner Erlöser. Das charakterisierte John Cullum – der jetzt ebenso aus ihrem Leben verschwunden war wie die alten Leutchen von River Crossing – so gut wie jede andere Bezeichnung. Und er war verschwunden, oder nicht? Obwohl die Art, wie er von seinem Freund in Vermont gesprochen hatte, irgendwie seltsam gewesen war…
Verfolgungswahn.
Reiner Verfolgungswahn.
Eddie verdrängte den Gedanken daran.
4
Da hier kein Wagen stand und Eddie deshalb keinen Blick unter irgendeine Fußmatte auf der Fahrerseite werfen konnte, wollte er unter der Verandatreppe nachsehen. Aber bevor er mehr als einen Schritt in diese Richtung machen konnte, packte Roland ihn mit einer Hand an der Schulter und deutete mit der anderen nach halblinks. Dort sah Eddie einen mit Büschen bestandenen flachen Hang, der zum Wasser hinunterführte, und das Dach eines weiteren Gebäudes, vermutlich eines Bootshauses, dessen grüne Schindeln mit einer Schicht aus trockenen Tannennadeln bedeckt waren.
»Dort ist jemand«, sagte Roland, dessen Lippen sich kaum bewegten. »Wahrscheinlich der kleinere der beiden Dummköpfe, der uns beobachtet. Nimm die Hände hoch.«
»Roland, glaubst du, dass wir das riskieren können?«
»Ja.« Roland hob die Hände. Eddie dachte kurz daran, ihn zu fragen, worauf sich seine Überzeugung gründe, kannte die Antwort aber im Voraus: Eingebung. Das war eben Rolands Spezialität. Eddie seufzte und nahm die Hände bis zu den Schultern hoch.
»Deepneau!«, rief Roland in Richtung Bootshaus. »Aaron Deepneau! Wir sind Freunde, und unsere Zeit ist kurz! Kommt raus, wenn es Ihr seid! Wir müssen palavern!«
Nun folgte eine Pause, dann fragte jemand laut mit Altmännerstimme: »Wie ist Ihr Name, Mister?«
»Roland Deschain von Gilead und aus der Linie des Eld. Sie kennen ihn, glaube ich.«
»Und Ihr Gewerbe?«
»Reisender in Blei«, rief Roland, und Eddie spürte, dass er auf beiden Armen eine kräftige Gänsehaut bekam.
Eine lange Pause. Dann: »Haben die Calvin umgelegt?«
»Unseres Wissens nach nicht«, rief Eddie zurück. »Wenn Sie mehr wissen als wir, warum kommen Sie dann nicht raus und erzählen’s uns?«
»Sind Sie nicht der Kerl, der aufgekreuzt ist, als Cal mit diesem Dreckskerl Andolini gefeilscht hat?«
Eddie fühlte einen weiteren zornigen Stich wegen des Wortes gefeilscht. Wegen des schiefen Lichts, in das es rückte, was sich in Towers Hinterzimmer tatsächlich abgespielt hatte. »Gefeilsche? Hat er Ihnen erzählt, dass es das gewesen ist?« Und dann, ohne Aaron Deepneaus Antwort abzuwarten: »Ja, dieser Kerl bin ich. Kommen Sie raus, damit wir miteinander reden können.«
Keine Antwort. Zwanzig Sekunden verstrichen. Eddie holte Luft, um Deepneau erneut zu rufen. Roland
Weitere Kostenlose Bücher