Der Dunkle Turm 7 - Der Turm
Oberaufsehers keine Furcht erkennen. Tammy blinzelte, und zum ersten Mal seit Tassa in die Küche geschlurft gekommen war – bloß um sich einen Becher Kaffee zu holen, wenn’s beliebt –, zog ein Ausdruck, der nichts mit Gereiztheit zu tun hatte, über ihr Gesicht. Das konnte Nervosität, vielleicht sogar Angst sein. »Sind deine Arme so schwach, Tammy von Selber-Dingsbums, dass du keinen Karton Suppendosen aus dem Lager holen kannst?«
Sie richtete sich gekränkt zu voller Größe auf. Ihre Hängebacken (von irgendeiner Nachtcreme fettig glänzend) zitterten vor selbstgerechter Empörung. »Vorräte für die Speisekammer zu holen ist schon immer die Arbeit des Laufjungen gewesen! Und das weißt du genau!«
»Trotzdem ist’s nicht verboten, dass du mal aushilfst. Ich hab gestern den Rasen gemäht, wie du genau weißt, während du in der Küche gesessen hast – mit einem Glas Eistee nämlich und so behaglich wie die alte Ellie in ihrem Lieblingssessel.«
Sie fuhr auf und verlor vor Empörung alle Angst, die sie möglicherweise empfunden hatte. »Ich hab das gleiche Recht auf eine Pause wie jeder andere! Ich hatte gerade den Boden geputzt …«
»Mir ist’s vorgekommen, als hätte Dobbie ihn geputzt«, sagte er. Dobbie war ein Haushaltsroboter vom Typ »Hauself« – ziemlich alt, aber nach wie vor sehr tüchtig. Tammy wurde noch wütender. »Was verstehst du schon von Hausarbeit, du affiger kleiner Schwuler?«
Hektische Röte überzog Tassas sonst so blasse Wangen. Dass er die Hände zu Fäusten ballte, merkte er nur, weil seine sorgfältig gepflegten Fingernägel sich in die Handflächen gruben. Ihm ging auf, dass dieser kleinkarierte verbale Schlagabtausch eigentlich ausgesprochen lächerlich war, wenn man bedachte, dass sich unmittelbar vor ihnen das Ende alles Lebens als schwarzes Nichts erstreckte; sie glichen zwei Toren, die sich am Rand des Abgrunds beschimpften und in den Haaren lagen. Die fette alte Sau hatte seit Jahren gegen ihn gestichelt, und genau das war der eigentliche Grund dafür. Jetzt hatte sie ihn endlich einmal offen ausgesprochen.
»Ist es das, was dich an mir stört, Sai?«, erkundigte er sich zuckersüß. »Dass ich die Stange küsse, statt ins Loch zu stoßen, ist das alles?«
Auf Tammy Kellys Wangen blühten jetzt keine Rosen mehr; sie standen regelrecht in Flammen. So weit hatte sie nicht gehen wollen, aber nachdem sie es nun getan hatte – sie hatten es beide getan, falls es nämlich zu Tätlichkeiten kam, war das ebenso seine Schuld wie ihre –, konnte sie nicht mehr zurück. Der Teufel sollte sie holen, wenn sie auch nur ein Stück zurückwich.
»In der Bibel des Direktors steht, dass Schwulsein Sünde ist«, erklärte sie ihm in gerechter Empörung. »Das hab ich selbst gelesen, das hab ich. Drittes Buch Mose, Kapitel achtzehn, Vers …«
»Und was steht im Moses über die Sünde der Völlerei?«, erkundigte er sich. »Was schreibt er über eine Frau mit Titten so groß wie Polster und einem Arsch so groß wie ein Küchenti …?«
»Wie groß mein Hintern ist, geht dich nichts an, du kleiner Schwanzlutscher!«
»Ich kann wenigstens einen Mann kriegen«, sagte er zuckersüß, »und muss nicht mit einem Staubwedel ins Bett gehen …«
»Wie kannst du es wagen!«, rief sie schrill. »Halt deine freche Klappe, bevor ich sie dir stopfe!«
»… um mir Spinnweben aus der Möse zu wischen, damit ich …«
»Ich schlage dir die Zähne ein, wenn du nicht …«
»… meine müde alte Fotze befingern kann.« Dann fiel ihm etwas ein, was sie noch mehr beleidigen würde. »Meine müde, schmutzige alte Fotze!«
Tammy ballte die Fäuste, die beträchtlich größer als seine waren. »Wenigstens hat mir niemals …«
»Kein Wort mehr, Sai, ich bitte dich.«
»… niemals irgendein Mann sein hässliches altes … hässliches … altes …«
Sie brachte den Satz nicht zu Ende, machte ein verwirrtes Gesicht und schnüffelte in die Luft. Tassa schnüffelte ebenfalls und merkte, dass dieser Geruch eigentlich nicht neu war. Er hatte ihn schon fast zu Beginn ihres Streits wahrgenommen, aber jetzt war er stärker.
»Riechst du den …«, sagte Tammy.
»… Rauch!«, ergänzte er. Sie starrten sich erschrocken an und hatten mit einem Mal ihren Streit vergessen, ungefähr fünf Sekunden, bevor es zu Tätlichkeiten gekommen wäre. Tammys Blick fixierte die neben dem Herd angebrachte Warntafel. Überall im Algul Siento hingen solche Warnungen, weil die meisten Gebäude, die den Komplex
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