Der Dunkle Turm 7 - Der Turm
zuletzt hier?«, fragte Irene Tassenbaum ihn. Sie überlegte, ob sie wieder in den zweiten Gang hochschalten sollte, beschloss dann aber, alles beim Alten zu belassen. »Solange es funktioniert, nur nicht daran herummachen«, sagte David gern.
»Das ist eine Weile her«, räumte der Mann ein. Sie konnte nicht anders, sie musste immer wieder heimlich zu ihm hinübersehen. Er hatte etwas Fremdartiges und Exotisches an sich – besonders in den Augen. Es war, als hätten sie Dinge gesehen, von denen sie niemals auch nur geträumt hatte.
Schluss damit, ermahnte sie sich. Er ist wahrscheinlich ein Drugstore-Cowboy, der gerade mal aus Portsmouth, New Hampshire, kommt.
Aber irgendwie bezweifelte sie das. Auch der Junge war merkwürdig – er und sein exotischer Hundemischling –, aber die beiden waren nichts im Vergleich zu dem Mann mit dem hageren Gesicht und den seltsamen blauen Augen.
»Eddie hat erzählt, dass sie eine Schleife bildet«, sagte der Junge. »Vielleicht seid ihr beide das letzte Mal von der anderen Seite gekommen.«
Der Mann dachte darüber nach, dann nickte er. »Liegt das andere Ende in Richtung Bridgton?«, fragte er die Frau.
»Ja, genau.«
Der Mann mit den seltsamen blauen Augen nickte. »Wir wollen zum Haus des Schriftstellers.«
»Cara Laughs«, sagte sie sofort. »Ein schönes Haus. Ich kenne es vom See aus, aber ich weiß nicht, welche Nummer die Einfahrt …«
»Nummer neunzehn«, sagte der Mann. Sie fuhren gerade an der Hausnummer 27 vorbei. Von diesem Ende der Turtleback Lane aus würden die Nummern nicht höher, sondern niedriger werden.
»Was wollen Sie denn von ihm, wenn ich fragen darf?«
Diesmal antwortete der Junge. »Wir wollen ihm das Leben retten.«
7
Roland erkannte die steil abfallende Zufahrt sofort wieder, obwohl er sie zuletzt unter einem schwarzen Gewitterhimmel gesehen hatte und durch die leuchtenden fliegenden Taheen abgelenkt gewesen war. Heute war keine Spur von Taheen oder anderen exotischen Geschöpfen zu sehen. Das Schindeldach des Hauses unter ihnen war irgendwann in den vergangenen Jahren durch Kupferblech ersetzt worden, und die bewaldete Fläche hinter dem Haus war jetzt ein Rasen, aber die Einfahrt war gleich geblieben: links ein Schild mit dem Namen CARA LAUGHS und rechts eines mit der Zahl 19 in großen Ziffern. Dahinter lag der im hellen Nachmittagslicht blau glitzernde See.
Vom Rasen kam das Knattern eines angestrengt ratternden kleinen Motors herauf. Roland sah zu Jake hinüber und erschrak sofort über die bleichen Wangen des Jungen und dessen weit aufgerissene, ängstlich dreinblickende Augen.
»Was? Was ist los?«
»Er ist nicht hier, Roland. Weder er noch jemand aus seiner Familie. Nur der Mann, der den Rasen mäht.«
»Unsinn, du kannst doch nicht …«, begann Mrs. Tassenbaum.
»Ich weiß es!«, brüllte Jake sie an. »Ich weiß es, Lady!«
Roland starrte Jake offen mit einer Art entsetzter Faszination an … aber in seiner gegenwärtigen Verfassung verstand der Junge diesen Blick nicht oder übersah ihn ganz.
Weshalb lügst du, Jake?, dachte der Revolvermann. Und unmittelbar darauf: Nein, er lügt nicht.
»Was ist, wenn es schon passiert ist?«, fragte Jake, und ja, doch, er war wirklich wegen King besorgt, wenngleich Roland den Verdacht hatte, dass das nicht der einzige Grund für Jakes Besorgnis war. »Was ist, wenn er tot ist und seine Angehörigen nicht hier sind, weil die Polizei sie benachrichtigt hat, und …«
»Es ist nicht passiert«, sagte Roland, aber das war auch schon alles, was er mit Sicherheit sagen konnte. Was weißt du, Jake, und warum erzählst du’s mir nicht?
Er hatte allerdings keine Zeit, sich jetzt länger darüber Gedanken zu machen.
8
Die Stimme des Mannes mit den blauen Augen klang ruhig, als er mit dem Jungen sprach, aber er erschien Irene Tassenbaum nicht ruhig, durchaus nicht. Die singenden Stimmen, die sie zuerst vor dem East Stoneham General Store gehört hatte, hatten sich verändert. Ihr Lied klang zwar noch immer süß, aber hatte sich da nicht eine verzweifelte Note eingeschlichen? Sie glaubte, eine zu hören. Eine hohe, flehende Klangfarbe, die ihre Schläfen pochen ließ.
»Wie willst du das wissen?«, schrie der Junge namens Jake den Mann an – seinen Vater, wie sie vermutete. »Wie willst du dir da so gottverdammt sicher sein?«
Statt die Frage des Jungen zu beantworten, sah der Mann namens Roland sie an. Mrs. Tassenbaum fühlte, dass sie auf Armen und Rücken
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