Der Dunkle Turm 7 - Der Turm
Blick auf die Ladefläche. Zwischen achtlos verstreutem Werkzeug sah er unter einer blauen Plane etwas Quadratförmiges. Die Ecken der Plane waren unter den Gegenstand geschoben, damit sie nicht weggeblasen werden konnte. Als Roland die Plane wegzog, kamen darunter mindestens acht Kisten aus jenem steifen Papier zum Vorschein, das Eddie »Karton« genannt hatte. Sie waren zusammengeschoben worden, um den Würfel zu bilden. Die aufgedruckten Bilder zeigten, dass sie Bierdosen enthielten. Aber ihm war es auch einerlei gewesen, wenn die Kartons Sprengstoff enthalten hätten.
Er wollte nur die Plane.
Roland trat mit ihr in den Armen von dem Wagen zurück und sagte: »Jetzt kannst du fahren.«
Sie griff wieder nach dem Schlüssel, mit dem der Motor angelassen wurde, drehte ihn aber nicht gleich nach rechts. »Sir«, sagte sie, »mein Beileid zu Ihrem Verlust. Das wollte ich Ihnen nur sagen. Ich sehe sehr gut, was der Junge Ihnen bedeutet hat.«
Roland Deschain senkte den Kopf, ohne etwas zu sagen.
Irene Tassenbaum sah ihn noch einen Augenblick länger an, erinnerte sich daran, dass Worte manchmal nutzlos waren, ließ dann den Motor an und knallte ihre Tür zu. Er beobachtete, wie sie in einer engen Kurve auf die Straße hinauslenkte (die Kupplung gebrauchte sie inzwischen reibungslos), um nach Norden in Richtung East Stoneham zurückzufahren.
Mein Beileid zu Ihrem Verlust.
Und jetzt war er mit diesem Verlust allein. Mit Jake allein. Roland betrachtete einen Augenblick lang das Tannenwäldchen neben der Straße, dann sah er zwei der drei Personen an, die das Ka hierher geführt hatte: einen Mann, bewusstlos, und einen Jungen, tot. Rolands Augen waren trocken und heiß; sie pochten so in ihren Höhlen, dass er schon fürchtete, die Fähigkeit zu weinen erneut verloren zu haben. Diese Vorstellung erschreckte ihn. Welchen Wert hatte das alles, wenn er nicht einmal jetzt – nach allem, was er wiedergewonnen und nochmals verloren hatte – weinen konnte? Weshalb es eine ungeheure Erleichterung war, als die Tränen dann endlich kamen. Sie quollen ihm aus den Augen, verschlierten deren fast wahnsinnigen Glanz. Sie liefen ihm über die schmutzigen Wangen. Er weinte fast lautlos, aber einmal schluchzte er doch, und das hörte Oy. Er reckte die Schnauze der Bahn aus zügig dahinziehenden Wolken entgegen und heulte sie einmal kurz an. Dann schwieg auch er.
6
Roland trug Jake tiefer in das Wäldchen hinein, wobei Oy ihm lautlos dicht auf den Fersen folgte. Dass auch der Bumbler weinte, überraschte Roland längst nicht mehr; er hatte ihn schon früher weinen sehen. Und die Zeit, in der er Oys Demonstrationen von Intelligenz (und Mitgefühl) lediglich für Mimikry gehalten hatte, war längst vorüber. Auf diesem kurzen Weg dachte Roland vor allem an das Totengebet, das er Cuthbert bei ihrem letzten gemeinsamen Feldzug, der auf dem Jericho Hill geendet hatte, hatte sprechen hören. Er bezweifelte, dass Jake ein Gebet brauchte, um seinen Weg zu Ende gehen zu können, aber der Revolvermann brauchte etwas, was seinen Verstand beschäftigte, weil er sich im Augenblick nicht sehr stark fühlte; wenn er zu weit in die falsche Richtung ging, würde er bestimmt zerbrechen. Vielleicht konnte er sich später der Hysterie hingeben – oder sogar der Irina, dem heilenden Wahnsinn –, aber nicht jetzt. Jetzt würde er nicht zusammenklappen. Er würde den Tod des Jungen nicht auf diese Weise entwerten.
Das dunstige grüngoldene Sommerlicht, eines, wie es nur in Wäldern existierte (die alte Wälder sein mussten wie der, in dem der Bär Shardik gehaust hatte), wurde dunkler. Es fiel in schrägen Strahlen durch die Bäume und ließ die Stelle, an der Roland schließlich stehen blieb, mehr wie eine Kirche als eine Lichtung aussehen. Von der Straße aus war er ungefähr zweihundert Schritte weit nach Westen gegangen. Jetzt legte er Jake ab und blickte sich um. Er sah zwei rostige Bierdosen und mehrere ausgeworfene Patronenhülsen, vermutlich Hinterlassenschaften von Jägern. Roland warf sie tiefer in den Wald, damit die Begräbnisstätte gereinigt war. Dann betrachtete er Jake, wobei er sich die Tränen aus den Augen wischte, um ihn so deutlich wie möglich sehen zu können. Das Gesicht des Jungen war so sauber wie die Lichtung, dafür hatte Oy gesorgt, aber Jakes rechtes Auge stand noch offen, sodass der Eindruck entstand, als zwinkere der Junge boshaft. Das durfte nicht sein. Roland zog das Lid mit einem Finger herunter, und als
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