Der Dunkle Turm 7 - Der Turm
würde er es bald sein. Sie hatten es geschafft, ihn zu retten, wenngleich Roland sich über diesen Gedanken nicht freuen konnte.
Als Mrs. Tassenbaum aus dem Laden zurückkam, hielt sie ein Hemd in Leibchenform mit Kurzärmeln in der Hand. Auf der Vorderseite war eine Kutsche abgebildet – ein richtiger Bucka-Wagen –, die von einem Kreis aus Worten umgeben war. Roland konnte HOME entziffern, sonst nichts. Er fragte Irene, was die Worte besagten.
»BRIDGTON OLD HOME DAYS, 27. BIS 30. JULI 1999«, las sie vor. »Was darauf steht, ist unwichtig, wenn es nur Ihre Brust bedeckt. Früher oder später werden wir irgendwo anhalten und übernachten wollen, und hierzulande gilt die Redensart: ›Kein Hemd, keine Schuhe, kein Service.‹ Ihre Stiefel sehen zwar ziemlich abgewetzt und mitgenommen aus, aber damit kommen Sie wahrscheinlich überall rein. Aber mit nacktem Oberkörper? Ä-äh, ausgeschlossen! Später besorge ich Ihnen ein besseres Hemd – eines mit Kragen – und auch eine anständige Hose. Die Jeans sind ja so schmutzig, dass sie bestimmt schon von allein stehen könnten.« Sie führte eine kurze (aber heftige) innere Debatte, dann wagte sie den Sprung ins kalte Wasser. »Sie haben ungefähr zwei Millionen Narben, würde ich sagen. Und das betrifft nur den Teil von Ihnen, den ich sehen kann.«
Darauf ging Roland nicht ein. »Hast du Geld?«, fragte er.
»Ich habe dreihundert Dollar mitgenommen, als ich zu Hause war, um den Wagen zu holen, und hatte dreißig oder vierzig in der Tasche. Außerdem Kreditkarten, aber Ihr verstorbener Freund wollte, dass ich möglichst lange bar bezahle. Am besten, bis Sie allein weiterziehen können. Er hat auch gesagt, dass irgendwelche Leute nach Ihnen fahnden könnten. Er hat sie ›niedere Männer‹ genannt.«
Roland nickte. Ja, dort draußen würden niedere Männer unterwegs sein, und nach allem, was er und sein Ka-Tet getan hatten, um die Pläne ihres Herrn zu durchkreuzen, würden sie doppelt eifrig danach streben, seinen Kopf zu bekommen. Am liebsten rauchend auf eine Stange aufgesteckt. Und auch Sai Tassenbaums Kopf, sobald sie mitbekamen, dass sie ihm geholfen hatte.
»Was hat Jake sonst noch gesagt?«, fragte Roland.
»Dass ich Sie nach New York City bringen soll, wenn Sie dorthin wollen. Er hat gesagt, dass es dort eine Tür gibt, durch die sie an einen Ort namens Faydag gelangen können.«
»Noch etwas?«
»Ja. Er hat gesagt, dass es noch einen weiteren Ort gibt, und zwar einen, zu dem Sie möglicherweise wollen, bevor Sie die Tür benutzen.« Sie warf ihm aus den Augenwinkeln einen schüchternen kleinen Blick zu. »Gibt’s da einen?«
Er dachte darüber nach, dann nickte er.
»Er hat auch mit dem Hund gesprochen. Das hat geklungen, als würde er ihm … Befehle geben? Anweisungen?« Sie musterte Roland zweifelnd. »Kann das sein?«
Roland hielt es für möglich. Mrs. Tassenbaum hatte Jake nur bitten können. Was aber Oy anging … Nun, das konnte die Erklärung dafür sein, dass der Bumbler nicht am Grab zurückgeblieben war, so gern er das vermutlich getan hätte.
Sie fuhren eine Zeit lang schweigend weiter. Die Straße, auf der sie waren, führte schließlich zu einer viel belebteren, auf der Autos und Lastwagen mit hoher Geschwindigkeit auf mehreren Fahrspuren verkehrten. Um auf sie auffahren zu dürfen, musste sie an einer Mautstelle halten und mit Geld bezahlen. Der Mautkassierer war ein Roboter mit einem Korb als Arm. Roland hatte gehofft, schlafen zu können, aber immer wenn er die Augen schloss, sah er Jakes Gesicht vor sich. Dann Eddies Gesicht mit dem nutzlosen Verband, der seine Stirn bedeckte. Wenn die Bilder schon kommen, sobald ich bloß die Augen schließe, dachte er, wie werden dann erst meine Träume aussehen?
Er öffnete die Augen wieder und beobachtete, wie sie eine glatte, asphaltierte Rampe hinunterfuhr und sich dann flüssig in den starken Verkehr einordnete. Er beugte sich nach rechts und blickte aus seinem Fenster nach oben. Er sah Wolken, los ángeles, die über ihnen in die gleiche Richtung zogen. Sie befanden sich weiter auf dem Pfad des Balkens.
13
»Mister? Roland?«
Sie dachte, dass er nur mit offenen Augen in seinem Schalensitz gedöst hatte. Jetzt wandte er sich ihr zu: mit den Händen im Schoß, die gesunde Hand über der verstümmelten, wie um sie zu verbergen. Sie glaubte, noch nie jemanden gesehen zu haben, der weniger in einen Mercedes-Benz passte als er. Beziehungsweise überhaupt in irgendein Auto.
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