Der Dunkle Turm 7 - Der Turm
sondern von einer Lumpektomie stammte. Na und? Selbst in ihrer Blütezeit hätte sie nie ein Wäschemodell für Victorias Secret abgeben können. Und selbst in ihrer Blüte hatte sie auch nie geglaubt, nur aus Titten und Arsch mit dem dazugehörigen Lebenserhaltungssystem zu bestehen. Sie hatte auch nie zugelassen, dass irgendjemand – einschließlich ihres Mannes – diesem Irrtum erlag.
Ihren Slip ließ sie jedoch an. Wäre ihr Schamhaar frisch gestutzt gewesen, hätte sie ihn vielleicht abgestreift. Wenn sie morgens beim Aufstehen gewusst hätte, dass sie in einem billigen Motelzimmer mit einem fremden Mann ins Bett gehen würde, während irgendein seltsames Tier auf der Badematte vor der Wanne pennte … Natürlich hätte sie dann auch ihre Zahnbürste und eine Tube Zahnpasta eingepackt.
Als er sie auf dem Bett liegend umarmte, holte sie zuerst erschrocken tief Luft und machte sich steif, dann entspannte sie sich. Aber sehr langsam. Er drängte sich mit den Hüften an ihr Gesäß, und sie spürte das beträchtliche Gewicht seines Gemächts, aber er hatte anscheinend nur Trost im Sinn; sein Glied war schlaff.
Er umfasste ihre linke Brust und ließ den Daumen in die vertiefte Narbe gleiten, die von der Lumpektomie herrührte. »Was ist das?«, fragte er.
»Na ja«, sagte sie (allerdings nicht mehr mit ruhiger, gleichmäßiger Stimme), »mein Arzt meint, in weiteren fünf Jahren wäre daraus Krebs geworden. Deshalb hat man mir es rausgeschnitten, bevor es … ich weiß nicht, wie’s richtig heißt … Metastasen kommen erst später, wenn überhaupt.«
»Bevor es blühen konnte?«, fragte er.
»Ja. Richtig. Gut.« Ihre Brustwarze war jetzt steinhart, und das musste er natürlich spüren. Ach, das war alles so verrückt!
»Warum schlägt dein Herz so aufgeregt?«, fragte er. »Hast du Angst vor mir?«
»Ich … ja.«
»Du brauchst keine Angst zu haben«, sagte er. »Das Töten hat ein Ende.« Eine lange Pause in der Dunkelheit. Sie konnte das gedämpfte Brausen des Verkehrs auf der Schnellstraße hören. »Vorläufig«, fügte er hinzu.
»Oh«, sagte sie mit dünner Stimme. »Gut.«
Seine Hand auf ihrer Brust. Sein Atem in ihrem Nacken. Nach unbestimmbar langer Zeit – eine Stunde oder vielleicht auch nur fünf Minuten – wurden seine Atemzüge länger. Da wusste sie, dass er eingeschlafen war. Sie war erfreut und enttäuscht zugleich. Wenige Minuten später schlief auch sie ein, und es folgte ihr erholsamster Schlaf seit Jahren. Falls er Albträume von seinen toten Freunden hatte, störte er sie nicht damit. Als sie aufwachte, war es fast acht Uhr, und er stand nackt am Fenster und sah durch den Vorhang hinaus, den er mit dem Finger einen Spalt weit geöffnet hatte.
»Hast du schlafen können?«, fragte sie ihn.
»Etwas. Fahren wir weiter?«
15
Sie hätten um drei Uhr nachmittags in Manhattan sein können, und die Fahrt in die Stadt wäre am Sonntag viel einfacher als am Montagmorgen im Berufsverkehr gewesen, aber New Yorker Hotelzimmer waren teuer, und selbst für ein Doppelzimmer hätte sie eine Kreditkarte benutzen müssen. Also übernachteten sie stattdessen in einem Motel 6 in Harwich, Connecticut. Sie nahm nur ein Zimmer, und in dieser Nacht liebte er sie. Nicht unbedingt, weil er es selbst wollte, das konnte sie spüren, sondern weil er begriff, dass sie es wollte. Es vielleicht brauchte.
Es war ein außergewöhnliches Erlebnis, obwohl sie nicht genau hätte sagen können, weshalb; trotz all der Narben, die sie unter ihren Händen spürte – manche rau, manche glatt –, hatte sie irgendwie das Gefühl, eine Traumgestalt zu lieben. Und in dieser Nacht träumte sie dann auch tatsächlich. Sie träumte von einem Feld voller Rosen, an dessen anderem Ende sich ein gewaltiger Turm aus schiefrigen schwarzen Steinen erhob. Ungefähr auf halber Höhe glühten rote Lichter … nur ahnte sie, dass dies keine Lichter, sondern Augen waren.
Schreckliche Augen.
Sie hörte viele singende Stimmen, tausende von Stimmen, und begriff, dass dies die Stimmen seiner toten Freunde waren. Sie wachte mit tränennassen Wangen und dem Gefühl auf, einen Verlust erlitten zu haben, obwohl er noch neben ihr lag. Nach dem heutigen Tag würde sie ihn nicht wiedersehen. Was für alle das Beste sein würde. Trotzdem hätte sie jedes Opfer gebracht, um noch einmal von ihm geliebt zu werden, obwohl sie erkannte, dass er eigentlich nicht sie geliebt hatte; auch als er sich in sie ergossen hatte, war er in
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