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Der Dunkle Turm 7 - Der Turm

Titel: Der Dunkle Turm 7 - Der Turm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: King Stephen
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sie das auffassen sollte; ihr erster Gedanke war, dass es sich um eine indirekte und schrecklich intellektuelle Kritik an dem Medium selbst handelte. Dann dachte sie, er spräche (auf ebenso indirekte Weise) von seinem Kummer, seinem Zustand der Trauer. Erst als er ihr erklärte, er höre Stimmen, ja, aber sehe nur Zeilen, die seine Augen tränen ließen, wurde ihr klar, dass er die reine Wahrheit sagte: Er konnte die Bilder auf dem Fernsehschirm nicht erkennen. Nicht die Wiederholung von Roseanne, nicht den Infowerbespot für Ab-Flex, nicht die sprechenden Köpfe in den Lokalnachrichten. Sie ließ den Fernseher eingeschaltet, bis die Story über Stephen King kam (mit dem Rettungshubschrauber ins Central Maine General Hospital in Lewiston geflogen, wo eine Operation am frühen Abend sein rechtes Bein gerettet zu haben schien – sein Zustand den Umständen entsprechend, weitere Operationen erforderlich, der Weg zur Genesung voraussichtlich lang und ungewiss), dann schaltete sie ihn aus.
    Sie sammelte die Abfälle ein – von KFC-Mahlzeiten schien irgendwie immer so viel mehr übrig zu bleiben –, wünschte Roland unsicher eine gute Nacht (die er auf eine geistesabwesende Ich-bin-nicht-wirklich-hier-Art erwiderte, die sie nervös und traurig machte) und ging dann nach nebenan in ihr Zimmer. Dort sah sie sich eine Stunde lang einen alten Film an, in dem Yul Brynner einen Robotercowboy spielte, der Amok lief, bevor sie den Fernseher ausschaltete und ins Bad ging, um sich die Zähne zu putzen. Dort merkte sie, dass sie – natürlich, Dummerchen! – ihre Zahnbürste vergessen hatte. Sie tat ihr Bestes mit dem Zeigefinger als Zahnbürstenersatz, dann streckte sie sich in Slip und BH (auch kein Nachthemd dabei) auf dem Bett aus. So verbrachte sie eine weitere Stunde in dem Bewusstsein, dass sie auf Geräusche von jenseits der papierdünnen Wand lauschte – vor allem auf ein Geräusch: das Krachen des Revolvers, den er auf dem Weg vom Auto ins Motelzimmer rücksichtsvollerweise nicht offen im Holster getragen hatte. Dieser einzelne Schuss würde bedeuten, dass er seinem Kummer auf sehr direkte Weise ein Ende gemacht hatte.
    Als sie die Stille jenseits der Wand nicht länger ertragen konnte, stand sie auf, zog sich wieder an und ging ins Freie, um sich die Sterne anzusehen. Dort sah sie Roland mit dem Nicht-Hund an seiner Seite auf dem Randstein sitzen. Sie hätte ihn am liebsten gefragt, wie er von ihr unbemerkt aus seinem Zimmer hinausgekommen war (die Wände waren so dünn, und sie hatte so angestrengt hingehört), verzichtete dann aber doch darauf. Stattdessen fragte sie ihn, was er hier draußen mache, nur um anschließend zu merken, dass sie auf seine Antwort und die rückhaltlose Offenheit seines ihr zugewandten Gesichts nicht vorbereitet gewesen war. Sie erwartete bei ihm immer wieder etwas zivilisierte Patina – ein Quäntchen Feinheit, Höflichkeit –, aber die gab es bei ihm nicht. Seine Ehrlichkeit war erschreckend.
    »Ich habe Angst vor dem Einschlafen«, sagte er. »Ich habe Angst, dass meine toten Freunde mich besuchen werden – und dass es mein Tod sein wird, sie zu sehen.«
    In dem Mischlicht, das teils aus der offenen Tür ihres Zimmers fiel, teils von dem grässlichen, herzlosen Halloween-Glanz der Natriumdampflampen des Parkplatzes stammte, blickte sie ihn unverwandt an. Ihr Herz hämmerte derart stark, dass ihre ganze Brust zitterte, aber als sie sprach, klang ihre Stimme ganz ruhig: »Würde es helfen, wenn ich mich zu dir lege?«
    Roland dachte darüber nach, dann nickte er. »Ich glaube schon.«
    Sie ergriff seine Hand, und gemeinsam gingen sie in das Zimmer, das sie für ihn gemietet hatte. Er streifte seine Kleidung ab, ohne das kleinste bisschen verlegen zu wirken, und sie betrachtete ängstlich staunend die Narben, die seinen Oberkörper bedeckten: die rot gekräuselte Spur eines Messerstichs am einen Bizeps, das milchige Narbengewebe einer Brandwunde am anderen, die sich überkreuzenden weißen Peitschenstriemen auf und zwischen den Schulterblättern, drei tiefe Einbuchtungen, die nur alte Schusswunden sein konnten. Und dazu kamen natürlich die zwei fehlenden Finger seiner rechten Hand. Sie war neugierig, aber sie wusste, dass sie nie den Mut haben würde, ihn danach zu fragen.
    Sie legte ihre Oberbekleidung ab, zögerte kurz, streifte dann aber auch den Büstenhalter ab. Sie hatte einen Hängebusen und an einer Brust ebenfalls eine vertiefte Narbe, die jedoch nicht von einer Kugel,

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