Der Dunkle Turm 7 - Der Turm
das Wasser, das sie Oy hinstellte, nie gefror. Sie schätzte, dass die Temperatur zwischen Mitternacht und Tagesanbruch auf vier bis fünf Grad sank; in einigen Nächten musste sie allerdings auch knapp über dem Gefrierpunkt gelegen haben, weil am Rand von Oys Wasserschüssel bereits winzige Eiskristalle zu sehen gewesen waren.
Allmählich begann sie seinen Pelz voller Neid zu betrachten. Anfangs redete sie sich ein, das sei nur ein spekulativer Zeitvertreib – wie hoch hielt der Metabolismus des Bumblers seine Körpertemperatur, wie warm hielt dieser Pelz (dieser dichte, dieser üppig dichte, dieser erstaunlich dichte Pelz) ihn eigentlich? Allmählich erkannte sie aber, was in Wirklichkeit dahinter steckte: Neidgefühle, die sich mit Dettas Stimme meldeten. Der kleine Scheißer spürt keine Kälte nich, wenn die Sonne untergeht, was? Nee, der nich! Ob dem sein Pelz für zwei Paar Fausthandschuh reichn würd?
Elend und entsetzt, verdrängte sie solche Gedanken wieder, fragte sich, ob es für den menschlichen Geist in seiner gemeinsten, berechnendsten, egoistischsten Verfassung ein unteres Limit gab, wollte es dann aber lieber nicht so genau wissen.
Tiefer und immer tiefer fraß die Kälte sich in sie hinein, Tag für Tag, Nacht für Nacht. Wie ein Holzsplitter. Sie schliefen zusammengedrängt mit Oy zwischen sich und drehten sich gemeinsam um, sodass abwechselnd die Körperseiten, die dem Wind ausgesetzt gewesen waren, auch einmal nach innen kamen. Wirklich erholsamer Schlaf war nie lange möglich, selbst wenn sie noch so erschöpft waren. Als der zunehmende Mond die Nächte zu erhellen begann, marschierten sie zwei Wochen lang nur nachts und schliefen dafür tagsüber. Das ging etwas besser.
Die einzigen Tiere, die sie zu Gesicht bekamen, waren große schwarze Vögel, die am südöstlichen Horizont vorbeiflogen oder sich in ganzen Schwärmen auf den Tafelbergen versammelten. Wenn der Wind günstig war, konnten Roland und Susannah ihre schrille, schwatzhafte Unterhaltung hören.
»Glaubst du, dass diese Dinger essbar wären?«, fragte Susannah den Revolvermann einmal. Der Mond war zu einer schmalen Sichel geworden, und sie waren wieder tagsüber unterwegs, um potenzielle Gefahren rechtzeitig erkennen zu können (an mehreren Stellen war der Weg von tiefen Spalten durchzogen, und einmal mussten sie einen Erosionstrichter umgehen, der bodenlos zu sein schien).
»Was glaubst du?«, fragte Roland zurück.
»Wahrscheinlich nicht, aber ich hätte nichts dagegen, mal einen zu probieren, um es rauszukriegen.« Sie hielt ganz kurz inne. »Wovon leben die deiner Meinung nach?«
Roland wiegte nur den Kopf.
An der hiesigen Stelle schlängelte sich der Weg durch einen phantastischen versteinerten Garten aus nadelspitzen Felsformationen. In einiger Entfernung kreisten über hundert jener schwarzen Krähenvögel um einen flachen Tafelberg oder saßen an dessen Abbruch und blickten wie knopfäugige Geschworene zu Roland und Susannah hinüber.
»Vielleicht sollten wir ja einen Umweg machen«, sagte sie. »Zusehen, ob wir’s irgendwie rauskriegen können.«
»Wenn wir vom Weg abweichen, finden wir ihn vielleicht nicht wieder«, sagte Roland.
»Bockmist! Oy könnte …«
»Susannah, ich will nichts mehr davon hören!« Er sprach in einem derart ärgerlichen Ton, den sie bisher an ihm nicht kannte. Ärgerlich, das ja, sie hatte Roland schon oft ärgerlich erlebt. Aber hier schwangen eine Kleinlichkeit, eine Übellaunigkeit mit, die ihr Sorgen machten. Und die sie auch etwas ängstigten.
In der folgenden halben Stunde schwiegen sie beide. Roland zog Ho Fats Luxustaxi, auf dem Susannah saß. Dann stieg der schmale Weg (die Ödland-Prachtstraße, wie Susannah sie insgeheim nannte) steil an, und sie sprang ab, schloss zu Roland auf und hielt dann möglichst mit ihm Schritt. Für solche Ausflüge hatte sie sein T-Shirt mit dem Old-Home-Days-Aufdruck in zwei Teile zerrissen, die sie sich dann um die Hände wickelte. Der Stoff schützte sie vor scharfkantigen Steinen und wärmte auch die Finger, zumindest ein wenig.
Er blickte auf sie hinab, dann wieder auf den Weg, der vor ihnen lag. Er hatte die Unterlippe leicht vorgeschoben, und Susannah dachte, dass Roland bestimmt nicht wusste, wie absurd trotzig dieser Ausdruck war – wie der eines Dreijährigen, der nicht mit an den Strand durfte. Er konnte es nicht wissen, und sie würde es ihm nicht sagen. Vielleicht später, wenn sie sich an diesen Albtraum erinnern und darüber
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