Der Dunkle Turm 7 - Der Turm
nicht mehr wahrzunehmen, jedenfalls sprach er nun weiter.
»Ich glaube, dass es bald so aussehen wird, als kämen wir aus dem Ödland heraus, aber du wärst gut beraten, dem Augenschein nicht zu trauen – ein paar Häuser und vielleicht etwas Straßenpflaster garantieren weder Sicherheit noch Zivilisation. Und es wird nicht mehr lange dauern, bis wir sein Schloss – Le Casse Roi Russe – erreichen. Der Scharlachrote König hält sich höchstwahrscheinlich nicht mehr dort auf, aber er könnte eine Falle für uns hinterlassen haben. Ich möchte, dass du Augen und Ohren offen hältst. Sollte es etwas zu reden geben, möchte ich, dass du das mir überlässt.«
»Was weißt du, was ich nicht weiß?«, fragte sie. »Was hältst du zurück?«
»Nichts«, sagte er (mit für ihn seltener Ernsthaftigkeit). »Das ist nur ein Gefühl, Susannah. Wir sind unserem Ziel jetzt nahe, unabhängig davon, was die Uhr anzeigen mag. Kurz davor, uns den Weg zum Dunklen Turm zu erschließen. Aber mein alter Lehrer Vannay hat immer gesagt, es gebe nur eine Regel ohne Ausnahme: Vor dem Sieg kommt die Versuchung. Und je größer der Sieg ist, den es zu erringen gilt, desto größer ist die Versuchung, der man widerstehen muss.«
Susannah fröstelte und schlang sich die Arme um den Oberkörper. »Ich möchte es nur warm haben«, sagte sie. »Wenn mir niemand eine große Ladung Brennholz und eine Flanellhemdhose dafür bietet, dass ich dem Turm entsage, können wir wohl noch eine Zeit lang durchhalten.«
Roland kam eine von Corts gewichtigsten Maximen in den Sinn – Niemals das Schlimmste laut aussprechen! –, hielt aber den Mund, zumindest in Bezug auf dieses Thema. Er steckte die Uhr wieder sorgfältig ein und erhob sich dann, bereit zum Aufbruch.
Aber Susannah zögerte noch. »Ich habe von dem anderen geträumt«, sagte sie. Von wem sie sprach, brauchte sie nicht zu sagen. »Drei Nächte hintereinander, wie er unserer Fährte nachhastet. Glaubst du, dass er wirklich da ist?«
»O ja«, sagte Roland. »Und irgendwie hat er einen leeren Bauch.«
»Hongrig, Mordred sein hongrig«, murmelte sie. Auch diese Worte hatte sie im Traum gehört.
Susannah fröstelte wieder.
7
Der Weg, dem sie folgten, wurde breiter, und an diesem Nachmittag zeigten sich auf seiner Oberfläche auch die ersten schäbigen Steinplatten einer ehemaligen Pflasterung. Er wurde zunehmend noch breiter, und nicht lange vor Einbruch der Dunkelheit erreichten sie eine Stelle, wo ein weiterer Weg (der im Lange-Her bestimmt eine Straße gewesen war) sich mit ihm vereinigte. Hier stand eine rostige Eisenstange, die früher vermutlich ein Straßenschild getragen hatte, das jedoch verschwunden war. Am nächsten Tag stießen sie auf das erste Gebäude diesseits von Fedic: eine eingefallene Ruine mit den Überresten einer Veranda, auf der ein umgedrehtes Schild lag. Hinter dem Haus war eine zusammengesackte Scheune zu sehen. Susannah drehte das Schild mit Rolands Hilfe um, und sie konnten darauf ein Wort entziffern: MIETSTALL . Darunter war wieder das ihnen so unheimlich vertraute rote Auge aufgemalt.
»Ich glaube, unser Weg war früher die Poststraße zwischen Schloss Discordia und Le Casse Roi Russe«, sagte er. »Das ergäbe Sinn.«
Sie zogen an weiteren Gebäuden, weiteren einmündenden Straßen vorbei. Es handelte sich hier um den Außenbezirk eines Dorfs oder einer Kleinstadt, vielleicht sogar einer richtigen Stadt, die einst das Schloss des Scharlachroten Königs umgeben hatte. Aber im Gegensatz zu Lud war von ihr nur sehr wenig übrig geblieben. In der Umgebung einiger Ruinen wuchs Teufelsgras in trübseligen Büscheln, aber dazwischen regte sich kein Leben. Die Kälte war schneidender als je zuvor. In der vierten Nacht nachdem sie die Krähen gesichtet hatten, wollten sie in den noch stehenden Überresten eines Hauses übernachten, konnten beide diesmal jedoch flüsternde Stimmen in den Schatten hören. Roland bestimmte sie – mit einer Nüchternheit, die Susannah unheimlich erschien – als die Stimmen von Gespenstern oder »Hausgeistern«, wie er sie nannte, und schlug vor, auf die Straße zurückzukehren.
»Ich glaube nicht, dass sie uns schaden können, aber sie könnten dem kleinen Kerl wehtun«, sagte Roland und streichelte Oy, der ihm mit einer Ängstlichkeit, die seiner sonstigen Art völlig widersprach, auf den Schoß gesprungen war.
Mit einem Rückzug war Susannah nur allzu gern einverstanden. Das Gebäude, in dem sie hatten kampieren
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