Der Dunkle Turm 7 - Der Turm
neidet es ihnen. Neidet ihnen auch ihre Gemeinschaft. Halbmutter und Weißer Vater, die ihm den Rücken zukehren.
»Wahrscheinlich«, sagte er.
Susannah wollte sich ausstrecken, richtete sich dann aber noch einmal auf. Sie berührte die wunde Stelle neben ihrer Unterlippe. »Das ist kein Pickel, Roland.«
»Nein?« Er saß ruhig da und sah sie an.
»Im College hatte ich eine Freundin, die genau so etwas hatte«, sagte Susannah. »Es hat geblutet, dann hat die Blutung aufgehört, es ist fast verheilt, dann ist es dunkler geworden und hat wieder geblutet. Schließlich ist sie zum Arzt gegangen – zu einem Facharzt, den wir Dermatologe nennen –, und der meinte, dass es sich um ein Angiom handelte. Einen Bluttumor. Er hat ihr Novocain gespritzt und es mit einem Skalpell herausgeschnitten. Er hat gesagt, es sei gut, dass sie rechtzeitig gekommen sei, mit jedem Tag würde dieses Ding nämlich seine Wurzeln etwas tiefer ausstrecken. Irgendwann, hat er gesagt, hätte es den Gaumen und vielleicht sogar die Nebenhöhlen erreicht.«
Roland wartete schweigend. Der Ausdruck, den sie benutzt hatte, klang in seinem Kopf nach: Bluttumor. Er hätte auf den Scharlachroten König gemünzt sein können, fand er. Auch auf Mordred.
»Wir haben kein Novocain nich, Baby«, sagte Detta Walker, »und das weiß ich auch, klare Sache! Aber wenn’s so weit is und ich’s dir sag, zückst du dein Messer und schneidst mir das Scheißding weg. Un zwa schneller, als der Bumbler dort drüben ’ne Fliege aus der Luft schnappen kann. Haste verstanden? Du weißt, was ich meine?«
»Ja. Aber leg dich jetzt hin. Ruh dich aus.«
Sie streckte sich aus. Fünf Minuten nachdem sie scheinbar eingeschlafen war, öffnete Detta Walker die Augen und
(ich beobachte dich, weißer Knabe)
funkelte ihn an. Roland nickte ihr zu, worauf sie die Augen wieder schloss. Kurze Zeit später öffneten die Augen sich zum zweiten Mal. Diesmal war es Susannah, die ihn ansah, und nachdem diese die Augen geschlossen hatte, öffneten sie sich nicht wieder.
Er hatte zwar gesagt, sie um Mitternacht zu wecken, aber er ließ sie noch zwei Stunden länger schlafen, weil er wusste, dass ihr Körper sich in der Wärme am Feuer wirklich erholte, zumindest für diese eine Nacht. Kurz nachdem seine schöne neue Taschenuhr ein Uhr angezeigt hatte, fühlte er den Blick ihres Verfolgers endlich nicht mehr. Wie unzählige Kinder vor ihm hatte auch Mordred es nicht geschafft, in den dunkelsten Nachtstunden noch wach zu bleiben. Wo immer der Ort liegen mochte, an dem er sich verkrochen hatte: das ungewollte, einsame Kind, das in die Fetzen seiner wattierten Jacke gehüllt war, war nun mit dem Kopf auf den Armen eingeschlafen.
Und spitzte sein Mund, der noch von Sai Thoughtfuls Blut verkrustet war, die bebenden Lippen, als träumte er von der Brust, die er nur einmal gekannt, und der Milch, die er nie gekostet hatte?
Roland wusste es nicht. Wollte es auch nicht unbedingt wissen. Er war nur froh, in der Stillwache der Nacht allein zu sein, wo er gelegentlich ein Stück Holz auf das langsam niederbrennende Feuer warf. Weil das Feuer sonst zu rasch ausgegangen wäre, wie er vermutete. Das Holz war neuer als das, aus dem die Stadthäuser erbaut waren, aber trotzdem uralt und zu einer Substanz verhärtet, die fast wie Stein war.
Morgen würden sie Bäume sehen. Die ersten seit Calla Bryn Sturgis, wenn man jene unberücksichtigt ließ, die unter der künstlichen Sonne des Algul Siento gewachsen waren, und jene anderen, die er in Stephen Kings Welt gesehen hatte. Das wäre nicht schlecht. Unterdessen herrschte tiefe Nacht. Außerhalb des Lichtkreises des herabbrennenden Feuers heulte ein Wind, der Rolands Haar von den Schläfen wegstehen ließ und einen feinen Schneegeruch mitbrachte. Er legte den Kopf in den Nacken und beobachtete, wie die Sternenuhr sich am schwarzen Himmel über ihm drehte.
Kapitel IV
F ELLE
1
Statt einer oder zwei Nächten ohne Feuer mussten sie dann doch drei erdulden. Die letzte Nacht bestand aus den längsten, erbärmlichsten zwölf Stunden in Susannahs Leben. Ist das hier schlimmer als die Nacht, in der Eddie gestorben ist?, fragte sie sich einmal. Willst du wirklich behaupten, dass das hier schlimmer ist, als schlaflos in einem der Zimmer des Wohnheims zu liegen und zu wissen, dass du in Zukunft immer allein liegen wirst? Schlimmer, als sein Gesicht, als seine Hände und Füße zu waschen? Sie für die Beerdigung zu waschen?
Ja. Es war schlimmer. Sie
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